Patrick Schreiner, 14. April 2016
„Die aktuelle Kritik an der EZB-Geldpolitik und die Pläne für eine Privatisierung der Bundesfernstraßenverwaltung und –finanzierung hängen eng zusammen: Hinter ihnen steht das Scheitern einer sozial- und wirtschaftspolitischen Konzeption. Es ist ein Scheitern, das sich die handelnden Akteure nicht eingestehen wollen – wodurch sie wohl alles nur noch schlimmer machen.
Im Jahr 1999 wurde der Euro (zunächst als Buchgeld, ab 2002 auch als Bargeld) eingeführt. Man hat sehr bewusst eine marktextremistische Währungsunion geschaffen, die im Falle von Ungleichgewichten über keinerlei Ausgleichsmechanismen verfügt. Mehr noch, man hat einige der denkbaren Ausgleichsmechanismen sogar verboten, etwa die Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) oder das finanzielle Füreinander-Einstehen der Staaten. Nicht soziale Annäherung und wirtschaftliche Kooperation, sondern Konkurrenz und eine rigide Haushaltspolitik sollten es richten. Die EZB wurde nach dem Vorbild der deutschen Bundesbank als politisch unabhängig aufgestellt, als wichtigstes Ziel bekam sie “Geldwertstabilität” aufgetragen. Auf wesentliches Betreiben ihres damaligen deutschen Chefökonomen hat die EZB diese Geldwertstabilität als eine Inflation von knapp unter zwei Prozent definiert.
Ab dem Jahr 2002 wurde in Deutschland von Rot-Grün (mit prinzipieller Unterstützung von Schwarz-Gelb) in der Altersversorgung auf das so genannte Kapitaldeckungsverfahren umgestellt. Während man die gesetzliche Rentenversicherung mit dem solidarischen Umlageverfahren schwächte, das Rentenniveau drastisch senkte, wurden die so genannte Riester-Rente und die so genannte Rürup-Rente eingeführt. Die Menschen sollten nun selbst vorsorgen, was bedeutet: Noch mehr sparen. Das Versprechen dahinter: Am Kapitalmarkt gebe es hohe Zinsen; die Rendite einer privaten Altersvorsorge sei höher als die der staatlichen Rentenversicherung. Eines der damals lautstark vorgetragenen Argumente aus wirtschaftspolitischer Perspektive: Die Unternehmen bräuchten die Ersparnisse der Menschen, um investieren zu können. (Warum Riester-Rente & Co. Quatsch sind, wird hier erklärt. Warum Banken zur Kreditvergabe keine Ersparnisse ihrer Kunden benötigen, wird hier erklärt.)“ (…) Weiterlesen wird dringend empfohlen:
http://www.annotazioni.de/post/1864
Kommentar GB:
Nichts fällt leider so schwer, wie „sich ehrlich zu machen“ (Christian Lindner), dass heißt damit aufzuhören, sich selbst und andere weiterhin zu belügen. Fazit:
„Hinter der Privatisierung der Altersversorgung, der europäischen Währungsunion und der restriktiven Haushaltspolitik steht letztlich eine neoliberale, marktextremistische wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption. Privat soll aus dieser Perspektive vor dem Staat kommen: private statt staatliche Altersvorsorge, private statt staatliche Ausgaben und private statt staatliche Kreditaufnahme. Die politisch Verantwortlichen erwarteten als Konsequenz dieser Politik eine funktionierende Wirtschaft mit entsprechenden Wachstumsraten und hohen Zinsen. Das war das Versprechen. Eingehalten wurde es nicht, konnte es auch nicht werden – denn die dahinterstehende politische Programmatik funktioniert nicht. Sie ist gescheitert.
Die Beschimpfung der EZB, die Zins-Geschenke für Banken und Versicherungen sowie das Nutzen von Schattenhaushalten bedeuten schlicht den verzweifelten Versuch, dieses Scheitern zu vertuschen.“
Kommentar GB:
So ist es. Und die o. g. Programmatik funktioniert deswegen nicht, weil sie auf unzutreffenden Theorien basiert. Daher ist die dringend nötige Erneuerung der VWL viel mehr als nur ein Anliegen unzufriedener Studenten, die – zu Recht – eine „plurale Ökonomik“ einfordern.
Wissenschaftspolitisch muß in einer ersten Phase das derzeit sehr eingeengte Spektrum der gesamtwirtschaftlichen Theorien erweitert werden, indem das Gesamtspektrum überhaupt ernsthaft zur Kenntnis genommen wird, bevor in einer zweiten Phase mittels wechselseitiger wissenschaftlicher Kritik, die auf Überprüfung und theoretische Innovationen abzielt, theoretisch fruchtbare ältere oder ganz neue Denkansätze ausgewählt werden, die dann in einer dritten Phase weiterentwickelt werden können.
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