Gleichstellungspolitik: Frauendiskriminierung hinterfragt

Von Robert Nef  / 18.12.2015
Robert Nef ist Publizist. Er hat als Vater von zwei Kindern während der Kleinkinderzeit sein Arbeitspensum auf 50 Prozent reduziert und mit seiner teilzeitlich berufstätigen Frau Berufs- und Familienzeit geteilt.
„Viele angebliche Diskriminierungen lassen sich auf jene arbeitsrechtlichen Korrekturvorschriften zurückführen, die für Arbeitgeber ein Motiv sein können, eine männliche Arbeitskraft vorzuziehen.“
„Überall, wo Angebote und Nachfragen durch Tausch aufeinander abgestimmt werden, gibt es „Spannungsfelder zwischen unterschiedlichen Präferenzen und Interessen. Dies löst bei allen Beteiligten und Betroffenen einen vielfältigen Anpassungs-, Lern- und Entwicklungsbedarf aus. Der Arbeitsmarkt lässt sich aber nicht von anderen Tauschprozessen isolieren. Die weitverbreitete Vorstellung, dass der Staat durch arbeits- und sozialrechtliche sowie bildungspolitische Interventionen echte und angebliche Diskriminierungen wirksam bekämpfen könne, indem er zugunsten der Frauen zwangsweise helfend und ausgleichend eingreift, darf – ja muss – infrage gestellt werden.
Die empirische Basis der sogenannten Diskriminierungsforschung ist einseitig und lückenhaft und berücksichtigt entscheidende grössere Zusammenhänge zu wenig. Viele angebliche Diskriminierungen lassen sich auf jene gutgemeinten arbeitsrechtlichen Korrekturvorschriften zurückführen, die für Arbeitgeber ein Motiv sein können, eine männliche Arbeitskraft vorzuziehen.
Die neue Studie von Avenir Suisse zum Thema «Gleichstellung» zeigt, dass ein erheblicher Anteil der statistisch gemessenen Lohnungleichheit nicht auf Diskriminierung durch die Arbeitgeberseite zurückzuführen ist, sondern auf Optionen und Prioritäten auf der Arbeitnehmerseite. Diese Unterschiede beruhen auf einem von Frauen und Männern z. T. immer noch unterschiedlich beurteilten Stellenwert der Erwerbsarbeit und der Berufskarriere. Welchen Stellenwert diese bei Frauen und Männern gegenüber Lernzeit, Familienzeit, Hobbys, Sozialzeit und Musse in Zukunft haben wird und ob sich diesbezüglich die heute feststellbaren Unterschiede bei steigendem Lebensstandard angleichen, akzentuieren oder individuell ausdifferenzieren, lässt sich schwer voraussagen.
Die Höherbewertung männlicher Arbeitskraft ist in einer Zeit entstanden, in der die Arbeitskraft mit Körperkraft verbunden war und in der die soziale und politische Vorherrschaft (im meist überschätzten öffentlichen Bereich) der Männer kulturprägend war. Die technologische, ökonomische und soziokulturelle Entwicklung hat mit diesen Vorurteilen gründlicher aufgeräumt als alle Gesetzesbestimmungen mit dem Ziel der Antidiskriminierung.
Frauen sind in einer Lern- und Dienstleistungsgesellschaft mit ihrem teils genetisch und teils soziokulturell fundierten Einfühlungsvermögen gegenüber den Bedürfnissen der Mitmenschen wahrscheinlich oft qualifizierter als Männer. Wenn diese Vermutung zutrifft, würde dies heute auf einem offenen Arbeitsmarkt zu einem Lohngleichheitsproblem für Männer führen.
Dies dürfte allerdings nur stattfinden, wenn eine Mehrheit der Frauen in Zukunft am Arbeitsmarkt mit den gleichen (bzw. gleich fragwürdigen) Prioritäten, Optionen und Ambitionen teilnehmen wie eine Mehrheit der Männer. Ob sich da tatsächlich in arbeitsteiligen Gesellschaften mit hohem Lebensstandard diese Tendenz der «Vermännlichung» der Arbeitswelt abzeichnet oder ob sich das Lohnforderungs- und Karriereverhalten von Männern «verweiblicht», bleibt eine offene Frage. Vieles spricht für die zweite Möglichkeit.
Die innerfamiliäre Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die auch für die Gleichberechtigungsfrage höchst relevant ist, sollte aufgrund der Komplexität und Individualität der damit verknüpften Probleme der Privatautonomie überlassen werden. Das heute bereits dicht geknüpfte Netzwerk von arbeitsrechtlichen, familienrechtlichen, steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Normen, die angeblich zugunsten der Frauen wirken, sollte – bevor man seinen Ausbau fordert – gänzlich vorurteilsfrei auf seine tatsächlichen mittel- und langfristigen Auswirkungen überprüft werden.
Dass viele Frauen mindestens zeitweise ihre Prioritäten im privaten, familienbezogenen Bereich setzen, ist wahrscheinlich optional und aus der Sicht einer persönlichen Optimierung von Lebensglück und Lebenssinn auch rational. Dass sich solche Präferenzen auf das Leistungsangebot und damit auch auf den Lohn auswirken, ist selbstverständlich. Wer hier auf der Basis einer egalitären Gender-Philosophie einen gesetzlichen Zwangsausgleich fordert, greift in subtile Bereiche persönlicher Lebensgestaltung ein.
Neben den Verzerrungen der Rationalität von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt gibt es natürlich im Gender-Bereich auch eine hochkomplexe «Ökonomie der gegenseitigen Bewirtschaftung von Geschlechtsunterschieden». Rationalität und Emotionalität sind dabei kaum mehr unterscheidbar.
Arbeitsmärkte sind im Hinblick auf ein Lebensunternehmertum jedes Individuums durch Bildungsmärkte und durch Partnerschaftsmärkte rund um die institutionelle Ehe und durch die gemischt psychologische, biologische, soziokulturelle und ökonomische Institution Familie wesentlich mitbestimmt. Psychologische Befindlichkeiten werden hier schnell einmal auch ökonomisch relevant. In den meisten Biografien spielt die Partnerwahl (bzw. der Verzicht darauf) eine mindestens so wichtige Rolle wie die Berufswahl oder die Wahl des Arbeitgebers, die in fast jeder Beziehung leichter und problemloser korrigierbar ist.
Diese beiden «Märkte», Vertragsgemeinschaft zu Hause und Vertragsgemeinschaft am Arbeitsplatz, sind komplex miteinander vernetzt. Die Verträge sind teils rechtlich «konfektioniert» und teils frei gestaltbar. Es ist naiv zu glauben, die Ökonomie im weiteren Sinne und die Rationalität im engeren Sinn spielten hier keine Rolle. Es ist auch unzutreffend, dass Frauen im heutigen Ehe- und Ehescheidungsrecht diskriminiert sind. Auch wenn hier vor Verallgemeinerungen zu warnen ist: Partnerwahl ist in unserer Kultur wahrscheinlich mehrheitlich «Damenwahl», und Frauen verhalten sich auf diesem Markt mehrheitlich weitsichtiger und rationaler als Männer.
Partnerschaften, in denen es von der Ausbildung und von der Motivation her wahrscheinlicher ist, dass die Frau ökonomisch-beruflich erfolgreicher sein wird und sich der Mann deshalb rationalerweise schwergewichtig um die nicht monetäre Haus- und Familienarbeit kümmern sollte, sind relativ selten. Reiner Zufall oder eben die Folge einer höheren ökonomischen Rationalität der Frauen bei der Partnerwahl? Diese kaum erforschten Zusammenhänge haben entscheidende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Märkte sind interdependent und lassen sich schwer abschotten und isolieren.
Dass die ersten Jahre der Sozialisation für ein Kind und seine spätere Entwicklung entscheidend sind und dass die Frauen in der ganzen Welt in dieser Phase eine nicht nur biologisch begründete Vormachtstellung innehaben (die sie allerdings möglicherweise oft nur suboptimal nutzen), ist in der Diskriminierungsdebatte zu wenig thematisiert worden. Die Mütter bereiten ihre Kinder immer noch auf eine von Männern dominierte Welt vor. Besteht ein Handlungsbedarf, mit staatlichem Zwang gegen solche frühkindliche Prägungen durch Mütter vorzugehen? In vielen Kulturen werden Knaben von Müttern bewusst so erzogen, dass sie in Alltagsfragen lebenslänglich «frauenabhängig» bleiben. Wer diskriminiert hier wen, und wer macht wen von wem abhängig? Da wird offensichtlich für einmal zu wenig hinterfragt.
Möglicherweise ist es klug, wenn man solche innerpartnerschaftlichen und innerfamiliären Angebote und Nachfragen aus der ökonomischen Betrachtungsweise ausklammert. Viele Frauen sind auf diesen Märkten wesentlich geschickter und erfolgreicher als Männer. Der Selektionsdruck in einer traditionell männerdominierten Arbeits- und Staatsorganisation hat die Frauen vielerorts zum stärkeren und realitätsnäheren Geschlecht werden lassen, was sich in einer höheren Lebenserwartung manifestiert.
Ein wohl wegen der «politischen Unkorrektheit» im Zusammenhang mit «Gender-Fragen» kaum untersuchtes Phänomen ist die Diskriminierung von Frauen durch Frauen. Sie beruht auf einer mehr oder weniger ausgeprägten «Klubbildung» unter Frauen und auf der damit verbundenen Klubsolidarität, die ein psychologisch bedingtes, aber ökonomisch relevantes Diskriminierungspotenzial hat. Alleinstehende Frauen bilden einen Klub, geschiedene ebenfalls, dann gibt es die alleinerziehenden, die verheirateten ohne Kinder und die verheirateten mit Kindern, die sich ihrerseits wieder in «Berufstätige», «Teilzeitberufstätige» und «Vollzeitmütter» aufgliedern – alles Lebensmuster mit einem Bündel von Vor- und Nachteilen, die mit Pauschal- und Vorurteilen belastet sind und auf die man unter Frauen gegenseitig Neid entwickeln kann.
Das Personalwesen ist heute häufig in Frauenhänden, und es wäre eine empirische Untersuchung wert, wie viel Bereitschaft bei alleinstehenden kinderlosen Frauen vorhanden ist, eine beruflich qualifizierte Familienmutter als Wiedereinsteigerin anzustellen.

Altersbedingte Diskriminierung ist wohl bei Frauen ein noch aktuelleres Problem als bei Männern. Möglicherweise sind jüngere Frauen gegenüber älteren Frauen weniger tolerant als jüngere Männer gegenüber älteren Männern. Entsprechende empirische Untersuchungen sind heikel und anspruchsvoll. Sie wären aber eine gute Basis für jene sozialen und kulturellen Lernprozesse, die neben der antidiskriminierenden Wirkung einer freiheitlichen Ökonomie mehr Veränderungspotenzial haben als alle staatlichen Zwangsvorschriften.“   –   Quelle:


http://www.nzz.ch/meinung/debatte/frauendiskriminierung-hinterfragt-1.18665041

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