Die ideologischen Wurzeln der Cancel Culture

30. 11. 2020

Bei näherem Hinsehen wird deutlich: es geht nicht um Moral, sondern um die Machtergreifung einer neomarxistischen Nomenklatura.

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Kommentar Hartmut Krauss:

Eine der üblichen neurechten Fehlinterpretationen des Zusammenhangs zwischen globalkapitalistischem Herrschaftssystem und postmoderner Ideologie. Letztere liefert seit den 1980er Jahren sukzessive die Mittel und Methoden, die Beherrschten geistig, moralisch und politisch-ideologisch zu kontrollieren und zu desorientieren bzw. intellektuell zu entwaffnen. Die von den Rechten als  „Linke“ verkannten Grünen z. B. sind heute fester Teil dieses  politisch-ideologischen Herrschaftsblocks, für den die Gleichung „Islam-und Migrationskritik=rassistisch“ hochfunktional ist.
Es ist ja gerade  Gramsci gewesen, der die Inhalte und Methoden der geistigen und politisch-ideologischen Beherrschung und Entwaffnung der lohnabhängigen Klassen und Schichten im Rahmen seiner zeitgenössischen Realität wie kein Zweiter durchleuchtet hat. Er ist also für „uns“ als Kritiker des postmodern-spätkapitalistischen Herrschaftskartells  ein  zentraler Bezugsautor. Meine ideologiekritische Denkweise gegenüber Postmodernismus, Islamapologetik, Migrantophilie etc. hat sehr stark von Gramsci profitiert..
Siehe zum Beispiel hier: LINK ZUM VIDEO

Gramscis Gesamtkonzept zielt ab auf die Befreiung (Katharsis) der beherrschten Klassen und Schichten vom entfremdenden (selbstnegierenden) Einfluss  interessenkonträrer herrschender Ideologie; wobei er den   vulgärmarxistischen Ökonomismus überwinden will, der das Bewusstsein der Beherrschten  kausal-mechanisch aus deren objektiven Lebensbedingungen ableitet.
Hier nur ein wesentlicher Aspekt:

Progressive Aufgabe im zivilgesellschaftlichen Ringen um Hegemonie ist die Unterstützung der „Katharsis“, d.h. die Beförderung der historischen (Selbst-)Bewußtwerdung der Volksmassen. Neben der ideologiekritischen Selbstreinigung von inadäquaten Bedeutungen im ‚Sinne‘ der herrschenden Gedankenformen ist sie wesentlich gebunden an die Schöpfung einer neuen, ‚praktisch-kritischen‘ Ideologie und deren massenhafte Verbreitung/’Durchsetzung‘ als tätigkeitsbestimmendes Orientierungssystem. Die Funktion des Marxismus als ‚organische‘ Ideologie sieht Gramsci in der ‚wirkungsvollen‘ Verbindung zwischen wissenschaftlicher Weltanschauung und ‚gesundem Menschenverstand‘; d.h. die Aufgabe des Marxismus besteht in der Anhebung des intellektuellen Niveaus der Volksmasse vermittels der Ermöglichung einer progressiven Verarbeitung des widersprüchlichen Bewußtseins des ‚aktiven Massenmenschen‘. Entsprechend bestimmt Gramsci (1967, S.280) den Charakter der „Philosophie der Praxis“: Sie selbst „ist ein Überbau, ist das Terrain, auf dem bestimmte Gesellschaftsklassen das Bewußtsein ihres eigenen gesellschaftlichen Wesens, ihrer eigenen Kraft, der eigenen Aufgaben, des eigenen Werdens gewinnen…Die Philosophie der Praxis tendiert…nicht dahin, die Widersprüche der Geschichte und der Gesellschaft friedlich zu lösen, sondern sie ist vielmehr die Theorie solcher Widersprüche; sie ist nicht das Regierungsinstrument herrschender Gruppen, um den Konsens herzustellen und die Hegemonie über subalterne Klasse auszuüben; sie ist Ausdruck dieser subalternen Klassen, alle Wahrheiten, auch die unbequemen, kennenzulernen, um den …Selbstbetrug der oberen Klasse und, mehr noch, den eigenen Selbstbetrug zu vermeiden.“

http://www.glasnost.de/autoren/krauss/gramsci.html

Was diesen rechtsideologischen  Verzerrungen und Entstellungen natürlich  in die Hände spielt, ist der allgemeine Bildungsverfall und der Tatbestand, dass kaum einer Gramsci gelesen hat. Postmodernismus, Bildungsverfall inklusive rechtsideologischer Verzerrungen sind wesentliche politisch-ideologische Faktoren der aktuellen Misere bzw. ermöglichen die relative Stabilität des globalkapitalistischen Herrschaftssystems in Europa.

 
 

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