Die neusten Entwicklungen nach dem Politbeben in Thüringen

Lindner: Merkel hat keinen Druck ausgeübt, CDU-Fraktion willigte ein, mit AfD zu stimmen

Eine FDP-Politikerin und ihre Tochter werden mit Feuerwerkskörpern attackiert. Die Linke-Landeschefin fordert von der CDU Unterstützung für Ramelow. Nach dem Rücktritt von Kemmerich bleibt die Lage in Thüringen angespannt. (Hervorhebung GB)

Jonas Hermann, Berlin  Aktualisiert 09.02.2020


https://www.nzz.ch/international/landeschefin-der-linken-fordert-unterstuetzung-von-cdu-fuer-ramelow-uebergriff-auf-fdp-politikerin-die-neusten-entwicklungen-nach-dem-polit-beben-in-thueringen-ld.1538877
Kommentar GB:
Christian Lindner stand – und steht noch! – vor dem Problem, seine kleine, vom Parteienkartell marginalisierte und passivierte Partei aus der Existenzkrise der Irrelevanz zu führen, und als Teil einer Drei-Parteien-Koalition in Thüringen wäre das prinzipiell möglich gewesen. Damit aber wäre das Parteienkartell geplatzt, und auch die Machtverhältnisse in der Union wären offen gewesen. Das konnte die Kanzlerin aus ihrer Sicht nicht hinnehmen, daher die entsprechenden überschießenden Reaktionen und Forderungen, u.a. zum Beispiel des Herrn Polenz, der bereits den Ausschluß der gesamten Werte-Union gefordert hat. Die CDU steht daher womöglich vor der Spaltung. An dieser Bruchlinie wird sich voraussichtlich entscheiden, ob die bisher noch bestehenden politischen Machtverhältnisse längere oder nur noch eine gewisse Zeit aufrechthalten werden können.
Ein alternativer Weg zum dem, der sich in Erfurt angedeutet hat, ist für die FDP nicht erkennbar. Ich gehe davon aus, daß Christian Lindner sich darüber vollständig klar war und ist, und daß er sich deshalb – vermutlich – entsprechend verhalten hat, jedenfall im nicht-öffentlichen Bereich, speziell im Gespräch mit Herrn Kemmerich.
Zugleich kann davon ausgegangen werden, daß sein erfahrener Parteikollege Kubicki das Problem ebenfalls gesehen und verstanden hat, nicht aber etliche andere führende Freidemokraten, die sich dem Parteienkartell politisch-mental zugehörig fühlen. Es ist eben immer problematisch für das Urteilsvermögen der Individuen, wenn der skeptisch-kritische Abstand vom öffentlichen Meinungsbild, das nicht nur, aber doch sehr weitgehend von Propaganda und Desinformation geprägt wird, zu gering ausfällt. Daher hat Christian Lindner wohl zurückrudern müssen, weil ihm die nötige Rückendeckung in seiner Partei, die ihre eigene aktuelle Lage als politische Organisation nicht begreift, gefehlt hat. Aber er bleibt an der Spitze, denn einen besseren Mann haben sie nicht. Auch muß man wohl einräumen: die Lage ist kompliziert. Das Parteienkartell befindet sich in einer Krise, weiß das aber auch ganz genau. Die FDP muß Kompromisse eingehen und ihren politischen Schaden zu minimieren versuchen. Sie kann nur dann politisch wirksam werden, wenn ihr durch spezielle Lagen und Situationen Chancen zuwachsen, die ergriffen und genutzt werden können. Dazu aber gehören Einsicht und Mut.
 

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