Verteilungskonflikte in Deutschland

„Da kommt sorgenvolle Empörung auf“

„Angesichts der Flüchtlingskrise äußern viele Deutsche Sorgen vor der Zukunft. Im heute.de-Interview spricht der Politologe Werner J. Patzelt über unfaire Lastenverteilung, das Misstrauen der Bürger in die Politik und nötige Steuererhöhungen.

heute.de: Deutschland nimmt in diesem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge auf. Nicht nur bei den Pegida- und AfD-Demonstrationen ist in diesem Zusammenhang viel von den Sorgen der Deutschen die Rede. Oft bleiben die Aussagen aber im Ungefähren. Wo sehen Sie reale Anknüpfungspunkte von Sorgen?
Werner J. Patzelt: Da, wo es konkret wird, drücken die Sorgen. Etwa bei den Bürgermeistern, die nicht mehr wissen, wie sie die Geflüchteten unterbringen sollen. Menschen, die Tag für Tag vor Ort mit der Versorgung von Flüchtlingen beschäftigt sind, arbeiten oft am Limit; und viele gewinnen den Eindruck, dass Deutschlands Aufnahmestrukturen überfordert sind. Das Ganze geht zurzeit nur noch gut, weil die Hilfsbereitschaft der Bürger im Land so groß ist und es so viel guten Willen der Zivilgesellschaft gibt. Aber das reicht auf Dauer nicht aus und wird nicht ewig anhalten.heute.de: Auf Demonstrationen oder in Internetforen äußern aber auch viele Menschen, die persönlich keine Erfahrung mit Asylsuchenden haben, ihre Angst, „überrollt zu werden“. Wie erklären Sie sich das?
 

Werner Josef Patzelt …
Werner Patzelt … war 1992 Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Heute hat er dort den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne.

 
Patzelt: Wenn man nicht genau weiß, was auf einen zukommt, fühlt man eher Gefahren, als dass man nach Chancen sucht. Unser Land ist mit so einer Zuwanderung noch nicht konfrontiert gewesen. Es ist anders als damals, als die Polen im Ruhrpott gleich auf Arbeitsplätze einwanderten. Heute kommen Zuwanderer, von denen wir noch gar keine Ahnung haben, welche Arbeitsplätze sie zu welchen Bedingungen wann oder wo besetzen können. Dass man sich dann fragt, wie geht es mit unserem Sozialstaat weiter, das leuchtet ein. Hinzu kommt, dass die Leute der Politik misstrauen.
heute.de: Inwiefern in diesem Kontext?
Patzelt: Wenn die Leute in der Zeitung lesen: Es gibt plötzlich Milliarden für die Versorgung und Integration einer in wenigen Monaten ins Land gekommenen Million von Flüchtlingen, während es vorher immer hieß, es sei kein Geld da für Schulen, Kindergärten, Polizisten oder Infrastruktur, weil die Staatseinnahmen dafür nun einmal nicht ausreichten, da kommt dann schon sorgenvolle Empörung darüber auf, dass die politischen Eliten wohl nicht wüssten, was sie tun, oder jedenfalls keinen klaren Kurs verfolgten.Mehr noch: Den Leuten kommt es dann so vor, als ob den politischen und medialen Eliten die Zuwanderer – aus welchen Gründen auch immer – wichtiger wären als die ansässige Bevölkerung. Und dann ist man mittendrin in Verteilungskonflikten und Demokratieproblemen, mündend in Vorwürfe an die politische Klasse und in Verachtung für das politische System. Manch einer bekommt das Gefühl: Der Staat ist morsch und wird bald zusammenbrechen.
heute.de: Sie sprechen von Verteilungskonflikten: Inwiefern spielt da die Befürchtung einer ungerechten Lastenverteilung mit hinein?
Patzelt: Die ganz normalen Lohnsteuerzahler haben das Gefühl: Wir bezahlen das Ganze – und unser Geld wandert in die Taschen von Immobilienbesitzern, Hoteliers, Bauunternehmern, Caterern und Rechtsanwälten, die jetzt vom starken Flüchtlingszuzug profitieren. Das fördert dann Sorgen, es werde in einigen Jahren für einen selbst zu wenig bleiben. Solange nicht die Besteuerung der Hochverdiener angehoben wird, bezahlen ja im Grunde die einfacheren Schichten in Deutschland die Kosten der Zuwanderung überproportional. Da sagt sich dann leicht: Das ist ungerecht! Und es ist auch objektiv ungerecht.
heute.de: Welche Punkte müsste die Politik aus Ihrer Sicht jetzt zügig angehen, um die Situation in den Griff zu bekommen?
Patzelt: Da gibt es eine Reihe von Dingen. Erstens: Die Zuwanderung begrenzen auf ein Ausmaß, das der Staat bewältigen kann. Wenn täglich 1.000 Menschen kommen, schafft Deutschland das locker. Wenn aber täglich 10.000 kommen, entstehen nun einmal Probleme. Zweitens: Die Asylverfahren beschleunigen, um schneller zu wissen, wer ein Bleiberecht hat. Jene mit Bleiberecht integrieren, die anderen in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Drittens: Die Abschiebepraxis effektiv gestalten, was ist sie aktuell nicht ist. Viertens: Das Geld beschaffen, das man für Integrationszwecke nun einmal braucht: von Deutschkursen über Hartz IV für arbeitslose anerkannte Asylbewerber und deren Familien bis hin zum Wohnungsbau.
heute.de: Woher kommt das Geld dafür?
Patzelt: Das geht nur über Steuererhöhungen und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Dieses heiße Eisen wird freilich kein Politiker früher anfassen, als sich das aufzwingen wird.“  (Hervorhebung: GB)
Das Interview führte Marcel Burkhardt
http://www.heute.de/politologe-patzelt-ueber-verteilungskonflikte-durch-die-fluechtlinge-in-deutschland-40658862.html

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