Geschlechterpolitik als Herrschschaftsinstrument

Von:  Matthias Heitmann – Auszug:
„Feministinnen, Frauenrechtlerinnen und Wissenschaftlerinnen der so genannten „Gender Studies“ beklagen die reale Benachteiligung von Frauen, die trotz der rechtlichen Gleichstellung weiter existiere und sich in den verschiedenen Berufsbiografien und eben in der Unterrepräsentanz von Frauen in Aufsichtsräten zeige. Die Schlussfolgerung, die daraus gezogen wird, lautet: Gleichheit und Gleichberechtigung reichen nicht aus. Es bedarf einer Politik, die sich nicht auf der formalen Gleichbehandlung ausruht, sondern durch gezielte Förderung von Frauen, auch im Sinne einer so genannten „Positivdiskriminierung“, also einer gezielten Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, die Möglichkeiten der letzteren durch die Beschneidung der Möglichkeiten der ersteren verbessert. Dies ist der Grundgedanke des Gender-Mainstreaming, das seit 1999 offizielles Ziel der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union ist und mittlerweile in alle Politikfelder hineinwirkt.
Das Thema ist aber auch deswegen gut für das Popularisieren einer autoritären Regulationspolitik geeignet, da sich unter Hinweis auf vermeintlich tiefsitzende geschlechtsspezifische Verhaltensmerkmale der eigentliche demokratische Souverän – die Wahlbevölkerung – leicht vom Handelnden in den Behandlungsbedürftigen umdefinieren lässt. Die Politik der Gleichberechtigung – und klassische Politik verstand sich eben in erster Linie als Bereitstellerin rechtlicher Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich eine Gesellschaft möglichst frei und dynamisch entwickeln soll – wird aufgrund fortbestehender Unterschiede in den Geschlechterrollen als ungenügend kritisiert. In klassisch-feministischer Tradition werden die Hauptursachen für die fortbestehenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht allein in der mangelhaften Ausgestaltung gesellschaftlicher Strukturen gesucht, sondern deren Existenz als Ausdruck männlicher Dominanz interpretiert. Die Akzentverschiebung wird deutlich: Das Problem sind nicht mangelhafte Strukturen an sich (die man ja gemeinschaftlich verändern könnte), das Problem sind die Männer, die in ihrer maskulinen Identität und in ihrem maskulinen Wertegebäude gefangen sind und gar kein eigenes Interesse an einer Stärkung der Position der Frauen entwickeln können. Dieser eigentliche Missstand, so die logische Konsequenz, ist nicht mit den Mitteln herkömmlicher Politik zu lösen. Er muss „behandelt“ werden, auf allen Ebenen des öffentlichen wie privaten Lebens.
Das Zusammentreffen dieser Problemdeutung mit dem bereits beschriebenen gesellschaftlichen Klima, das von gegenseitigem Misstrauen, dem Fehlen positiver Zukunftsaussichten, dem Rückzug ins Private, dem Mangel an gesellschaftlichem Zusammenhalt und dem Zurückschrauben persönlicher Erwartungen geprägt ist, macht Frauenpolitik zu einem idealen Herrschaftsinstrument. Wenn Probleme auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr als solche diskutiert, sondern als Manifestationen individueller psychischer und geschlechtstypischer Verformungen interpretiert werden, die einer flächendeckenden Behandlung bedürfen, entsteht eine Politikform, die man getrost als „therapeutischen Autoritarismus“ bezeichnen kann. Sie ist autoritär, weil der einstige „Souverän“ als Gestalter ausfällt und mit allen Mitteln und „alternativlos“ auf den rechten Weg zu führen ist, und sie ist therapeutisch, da der einzige Ausweg, der sich anzubieten scheint, in einer die vermeintlich grundlegenden geschlechtsspezifischen Charaktereigenschaften ausmerzenden Intensivbehandlung liegt – bei Männern wie bei Frauen.“ – Hier zum Artikel der Zeitschrift Novo-Argumente
http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_notizen/artikel/0001427
in der weitere Beiträge zu diesem Themenkreis erschienen sind:

Genderpolitik in NovoArgumente 115

 

  • 174 Geschlechterpolitik als Herrschaftsinstrument

    In Zeiten, in denen es der Freiheit und der Mündigkeit von Menschen an den Kragen geht, wird staatliche Gleichstellungspolitik zu einem Problem für Frauen und Männer

  • Monika Bittl

    183 Brüderle und Schwesterle im Geiste

    Die Aufschrei-Sexismusdebatte hat wenig mit weiblicher Emanzipation oder einem Sich-Wehren gegen sexuelle Übergriffe und Gewalt zu tun. Es geht vielmehr um die Festschreibung des weiblichen Opferstatus

  • Interview mit Walter Hollstein

    186 Männer auf dem Abstellgleis

    In Gespräch mit Novo-Redaktionsleiter Johannes Richardt erklärt der Männerforscher Walter Hollstein die aktuelle Krise des „Starken Geschlechts“: Klassisch männliche Werte haben in unserer Gesellschaft einen schweren Stand. Jungs sind Bildungsverlierer, Männer werden diskriminiert

  • Alexander Ulfig

    191 Bürokratie statt Qualifikation

    Frauenquote und Wissenschaft passen nicht zusammen. Bei Stellenausschreibungen sollte die individuelle Qualifikation der Bewerber im Vordergrund stehen – und nicht ihr Geschlecht

  • Michael Klein

    200 Irrwege europäischer Frauenpolitik

    Die von der EU-Kommission geforderte Frauenquote für Führungskräfte lässt außer Acht, dass viele Frauen überhaupt keine Karriere machen wollen. Die EU meint mit Geschlechtergerechtigkeit eigentlich Gleichmacherei

  • Nathalie Rothschild

    206 Das Schwede

    An schwedischen Schulen wird zunehmend eine geschlechtsneutrale Politik vorangetrieben. Unter anderem gehört hierzu auch die Verwendung eines neuen Pronomens: „hen“ (es) statt „han“ und „hon“ (er und sie). Was bringt das?

 
 
 
 

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