Lesekultur unter erheblichem Druck


Kommentar GB: Sehr lesenswert!

Di 27.10.2020

Guter Beitrag,a ber m. E. zu viel Redundanz.
Ich bin glücklicherweise noch mit Büchern diverser Wissensgebiete aufgewachsen. Gerade bei älteren Menschen wird m. E. viel zu wenig der sich permanent erweiternde kognitive „Bestand“ an Fach- und Erfahrungswissen für eine progressive Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen in der politischen Arbeit berücksichtigt.
Zum Verhältnis Buch – Digitalisierung hat bereits Hartmut Krauss fundierte Aussagen getroffen, die m. E. aktueller denn je sind:

http://www.hintergrund-verlag.de/texte-kapitalismus-krauss-zuwanderung-und-bildung.html

Vor dem Hintergrund einer Absenkung des Allgemeinbildungsniveaus[11] infolge intensiver (Über-)Nutzung digitaler Medien sowie dem Rückgang von Rechtsschreib- und Lesekompetenzen, verringert sich auch die durchschnittliche Aufnahme- und Verarbeitungskapazität historisch-politischen Wissens und damit die subjektive Motivations- und Fähigkeitsbasis für demokratische Partizipation und bürgerschaftliches Engagement. Oder unter einem anderen Blickwinkel betrachtet: Je unwissender eine Bevölkerung im Durchschnitt ist, desto besser lässt sie sich beherrschen, kontrollieren, manipulieren, domestizieren und zu falscher Toleranz verführen etc. Und so leichter haben es die Herrschenden, den gesellschaftlichen Niedergangs- und Verfallsprozess zu verschleiern bzw. schönzureden.

 

https://hintergrund-verlag.de/spaetkapitalistische-systementwicklung/bildungsverfall-als-ausdruck-soziokultureller-krisenentwicklung/

„Kein Zweifel: Die Gesellschaft des digitalen Zeitalters rückt von der Buchkultur ab – und dieser Trend ist unwiderruflich auch bei den sozial Privilegierten angekommen. Die Zahl der jährlich gelesenen Bücher in Deutschland sinkt ebenso wie die Zahl der Bücher pro Haushalt. Bildungsferne Mittelschichten entstehen, in denen trotz guter materieller Verhältnisse kein Wert mehr auf klassische Bildungsinhalte oder genussvolles Lesen gelegt wird. Möglich, dass ein Teil der Eltern hofft, Kulturtechniken würden in einer Art genetischen Vererbung auf ihren Nachwuchs übergehen. Aber die Herkunft allein, das große Haus oder der Sportwagen helfen beim Lesenlernen gar nichts.“[4]

  1. Wie die Stiftung Lesen bekannt gab, liest ein Viertel aller erwachsenen Deutschen überhaupt keine Bücher mehr. Eine Studie der Stiftung stellte zudem bereits 2001 fest, „dass sich die Zahl der Mütter und Väter, die ihre Kinder systematisch für Bücher zu begeistern versuchen, innerhalb von zehn Jahren von 50 auf 25 Prozent halbiert hatte. Da ist es nur folgerichtig, dass die Hälfte der Sechs- bis Dreizehnjährigen in diesem Land zu Protokoll gibt, ‚nie’, ‚gar nicht gern’ oder ‚nicht so gern’ zu lesen.“[12]Infolgedessen sind die Schulen gezwungen, im Unterricht vereinfachte Versionen von Schul- und Kinderbüchern, aber auch von Klassikertexten einzusetzen, da mit der reduzierten Lesemotivation auch das durchschnittliche Leseverständnis entsprechend gesunken ist.
  2. Aufgrund der durch Werbung, massive Lobbyarbeit und wechselseitige „Ansteckung“ bedingten Durchdringungsmacht der neuen Medien und unterhaltungselektronischen Industrie hat sich nicht zuletzt auch das Freizeitverhalten insbesondere der jüngeren Generation rapide verändert. Digitale Spiele, Smartphones, Surfen im Internet, Kommunikation via SMS, Facebook, Chatrooms etc. bestimmen die Szenerie. Hinzu kommt ein umfangreicher Fernsehkonsum. „In Deutschland liegt die Mediennutzungszeit von Neuntklässlern bei knapp 7,5 Stunden täglich, wie eine große Befragung von 43.500 Schülern ergab. Das Nutzen von Handys und MP3-Playern ist dabei noch nicht mitberücksichtigt“ (Spitzer 2012, S. 11). Eine Viertelmillion der Vierzehn- bis Vierundzwanzigjährigen gilt als internetabhängig, weitere 1,4 Millionen als problematische Internetnutzer.

 Insgesamt betrachtet wirkt sich die extensive Nutzung der digitalen Medien negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit und interaktive Konstitution der Menschen aus.

Spitzer referiert zahlreiche Studien, die belegen, dass die Auslagerung geistiger Arbeit auf digitale Datenträger die Gehirnaktivität reduziert und damit die kognitiven und auch sozial-kommunikativen (face-to-face) Kompetenzen schmälert bzw. verkümmern lässt („Digitale Demenz“). So geht durch die Übertragung von Gedächtnis- und Orientierungsleistungen oder Kalkulationen auf externe (Speicher-) Medien vielfach relevantes Experten- und Handlungswissen verloren (oder entsteht erst gar nicht), das in konkreten Situationen dem Subjekt nicht mehr zur Verfügung steht. Je niedriger der mitgebrachte Wissenstand und der dadurch determinierte Fragehorizont, desto eingeschränkter die Informationssuche und desto flacher und enger die (begriffliche) Aneignungstiefe und -breite der Informationsverarbeitung und -bewertung. Die lernrelevante Tiefe und Intensität geistiger Arbeit/Aneignungstätigkeit (durch Hinterfragen, Analysieren, Umstrukturieren und Neukombinieren von Inhalten) wird somit tendenziell durch digitale Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit (Surfen, Copy and Paste) ersetzt.

Schon im Jahr 2000 hatte bei der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren der PC den Büchern den Rang abgelaufen. Fünf Jahre zuvor hatte es unter den Jugendlichen noch doppelt so viele Buchleser wie PC-Benutzer gegeben. Längst sind Kinder und Jugendliche als relevante Zielgruppe der Programm-Macher und Werbefachleute „entdeckt“ worden. Nach einer Grundlagenstudie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2004 hatte sich zu diesem Zeitpunkt der Anteil der Kinder, die über ein eigenes Fernsehgerät verfügten, mit 39 Prozent seit 1990 mehr als verdoppelt. Generell gilt, dass die Massenmedien längst zum zentralen Multiplikator und „Vernetzer“ ästhetischer Muster der szenetypischen Selbstinszenierung und Lebensgestaltung geworden sind und damit die Ausbildung von Jugendkulturen entscheidend bestimmen.

 

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