Islam, Grundgesetz und streng gläubige Muslime

Hartmut Krauss

Islam, Grundgesetz und streng gläubige Muslime:

„Ihr braucht nicht verfassungstreu sein“

Zur Kritik der mechanistischen Trennung von Glaubensüberzeugung und Glaubensausübung in Anwendung auf den Islam

Das grundlegend Falsche in der Argumentation von juristischen Befürwortern der Vereinbarkeit von Islam und Grundgesetz ist die mechanistische Trennung von Glaubensüberzeugung und Glaubensausübung in Anwendung auf den Islam1. Demgegenüber ist gerade der Islam in seiner Eigenschaft als rigorose Gesetzesreligion dadurch wesensmäßig charakterisiert, dass die Befolgung von Handlungsvorschriften in allen Lebensbereichen als wahrer „Gottesdienst“ bzw. praktische Bezeugung von gotteskonformer Lebenstätigkeit gilt, die zum angeblichen Heil im Jenseits führt.

Das heißt: Der Islam, der den einzelnen Gläubigen als Gottesknecht formiert, erhält seine operative Wirksamkeit überhaupt erst in Form einer autoritären Ethik, die als ein allumfassender alltagspraktischer Regel- und Pflichtenkatalog in Erscheinung tritt. Bei dessen subjektiver Umsetzung bilden Überzeugung und Handeln eine untrennbare Einheit. Die Unterstellung, es sei weithin anzunehmen und davon auszugehen, dass Muslime eine islamische Glaubensüberzeugung haben und diese dann nicht in praktisches Handeln (Glaubensausübung) umsetzen, ist eine völlig realitätsfremde Vorstellung bzw. eine scholastische Fehlannahme.

Für den Islam in seiner beurteilungslogisch ausschlaggebenden orthodoxen Grundgestalt2, also jenseits von angeblich möglicher subjektivistischer Auslegungswillkür, gilt das Prinzip „al-islam din wa daula“: Der Islam ist Religion und Staat. D.h.: Der Islam kennt keine Trennung von „reinem rituellen Gottesdienst“ einerseits und normativer Regelung weltlicher Handlungen und intersubjektiver Beziehungen andererseits; er ist in seiner lehrdogmatischen Gesamtheit (Koran, Sunna, Scharia) per se „politisch“. Es gibt also keinen „unpolitischen Islam“, wohl aber eine religiöse „Ausnüchterung“ von Muslimen analog zu „Weihnachtschristen“. Die triviale Tatsache, dass es auch eine Minderheit von „ausgenüchterten“ Muslimen gibt, kann aber nicht – als Unterabteilung der Verwechslung von „Islam“ und „Muslimen“ – dahingehend fehlinterpretiert werden, es gebe einen „unpolitischen Islam“. Umfragen in islamischen Ländern zeigen immer wieder, wie tief das antisäkulare Prinzip der Einheit von Islam, Staat und Politik im subjektiven Überzeugungssystem der dort lebenden Menschen verankert ist. So fordern dort klare Mehrheiten einen strengen bis prinzipiellen Einfluss des Korans auf die Gesetze ihrer Länder.3

Von herausragender Bedeutung für die Zurückweisung vordergründiger (formalistischer) Gleichsetzungen ist Folgendes: Die kulturhistorische Umwandlung der monokratisch-absolutistischen Deutungs- und Normierungsmacht des mittelalterlichen (katholischen) Christentums in eine posttradionale „Privatreligion“ ist eine spezifisch-europäische Transformationsleistung4 und kann nicht einfach „unter der Hand“ auf den Islam, egal ob in sunnitischer oder schiitischer Sekundärform, übertragen werden. Denn gerade diese Zurückschneidung des Religiösen auf ein entmächtigtes Teilsystem hat im islamisch geprägten Herrschaftsraum nicht stattgefunden.

Von entscheidender Bedeutung für eine seriöse wissenschaftliche Betrachtung ist demnach, den Islam nicht lediglich als spezifische Anordnung spiritueller Glaubensinhalte und religiöser Rituale (Bekenntnisformel, Gebete, Fasten, Pilgerreisen etc.) zu betrachten, sondern zugleich und damit untrennbar verknüpft als soziokulturelles ‚Bedeutungsgeflecht‘ mit autoritativen Normen und alltagsmoralisch verbindlichen Vorschriften zu begreifen, d.h. als sozial-psychisch wirksames System der Bewusstseins- und Verhaltensregulierung im Interesse der Stabilisierung konkreter zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse. In dieser Perspektive ist die „fundamentalistische“ Radikalisierung des Islam kein „Missbrauch“ oder ein verfälschender Willkürakt, sondern das zwangsläufige Entwicklungsprodukt eines durch Krisenerfahrungen umfassend erschütterten konservativ-islamischen Sozialmilieus, das auf patriarchalisch-hierarchischen Ordnungsvorstellungen, Ehrbegriffen und Handlungserwartungen beruht und danach trachtet, seine ‚angestammten‘ (‚geheiligten‘) Privilegien zu verteidigen bzw. wiederherzustellen. Es geht folglich um die zur Radikalität drängende Verteidigung des Islam als herrschaftslegitimierendes ‚Begründungssystem‘ („Allahs Gesetz“) angesichts der Herausforderungen durch eine nichtislamische, von „Ungläubigen“ hervorgebrachte säkulare Moderne.“

„Der Islam war schon immer totalitär. Er beherrschte praktisch jeden Gedanken und jede Handlung der Gläubigen. Für dieses Verhältnis stand symbolisch zum Beispiel das Hersagen der Bismillah auch während der unwichtigsten Tätigkeit ebenso wie die allumfassende Bedeutung der Überlieferungen. Jegliche Handlungen, selbst diejenigen, die äußerst fundamentalen biologischen Bedürfnissen entsprechen wie Defäkation oder Koitus, wurden durch religiöse Vorschriften bestimmt. Selbst gesellschaftliche Handlungen, die in anderen Kulturen für außerhalb der Religion stehend angesehen werden, seien sie technischer, wirtschaftlicher oder künstlerischer Natur, wurden in das System integriert und religiös ausgelegt. Jegliche Handlung, Einrichtung, selbst jeglicher Gedanke, der dem System fremd war, wurde entweder abgelehnt oder, wenn dies nicht möglich war, eingegliedert und islamisiert“ (Rodinson, zit. n. Gopal 2006, S. 411f.).“  (…)
http://www.gam-online.de/text-Islam.Grundgesetz.html

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