Der Bauchtanz als Metapher


„Im Jahr 1984 war ein zweitklassiger B-Pictures-Schauspieler amerikanischer Präsident, Birne war Bundeskanzler und Michael Jackson gewann sage und schreibe acht Grammys. Ich nahm mein Soziologiestudium auf, trug maßgeschneiderte schwarze Lederjeans, pink lackierte Lippen und wahnsinnig zottelige Frisuren und hatte, wenn man meinen Kommilitoninnen Gauben schenken sollte, echte Probleme mit meiner Definition von Weiblichkeit. Sich einerseits als Feministin zu bezeichnen und andererseits aufzubrezeln, damit einem die Kommilitonen hinterher geierten, das galt als nicht aufzulösender Widerspruch. Dicke Haarbüschel unter den Armen, Birkenstocksandalen, selbstgestrickte Labberpullover und Pickel statt Make-up waren damals ein politisches Statement. Allerdings nicht meines. Ich beschloss, noch eins drauf zu setzen und begann, orientalischen Bauchtanz zu erlernen.
Der Orient war für mich damals ein glitzerndes Füllhorn, aus dem die herrlichsten Gaben strömten: Exotische bunte Seidenstoffe, honigtriefendes Pistaziengebäck, kostbare Wohlgerüche aus dem fernen Arabien, aufpeitschende Rhythmen, die die Sinne bezauberten, von Strass und tausenden Glasperlen schwere Prachtgewänder, die den weiblichen Körper zu einem anbetungswürdigen Juwel werden ließen. Orient, das war 1001 Nacht; Musik, Moschus und Marzipan. Oder auch: Friede, Freude, Eicherkuchen.
Ich war professionelle Bauchtänzerin. Fünfundzwanzig Jahre lang. Ich hatte zahllose, gut honorierte Shows, ein Riesentanzstudio und Schülerinnen aus Bosnien, der Türkei, dem Irak, dem Iran, aus Kurdistan, Indien, Kasachstan, Tunesien, Algerien, Marokko, Afghanistan und den palästinensischen Autonomiegebieten. Da staunte der vordere Orient, da staunte der hintere Orient.
Bei meinem ersten Auftritt vor rein orientalischem Publikum starb ich beinahe vor Lampenfieber. Damals waren Türken nämlich überzeugt davon, dass deutsche Frauen nicht bauchtanzen könnten. Als der Bandleader eine deutsche Tänzerin ansagte, brachen sechs- oder siebenhundert türkische Gäste in enttäuschtes Stöhnen aus. Manchmal wächst man über sich selbst hinaus. Die geballte Abneigung rief meinen Kampfgeist heraus, und eine dreiviertel Stunde, drei Zugaben und sechshundert D-Mark Trinkgeld später ging ich als Siegerin aus der Arena. Ich war sozusagen stehend durchs Ziel gerauscht. Das war es doch: Multkulti in der schönsten Form.
Etwas, das damals weder bei mir, noch bei meinen Schülerinnen, noch bei meinem Publikum jemals thematisiert wurde, war der Islam. Aber diese Zeiten sollten sich noch ändern.“
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http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/der_bauchtanz_als_metapher

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