09. Juli 2024
Hartmut Krauss
Überraschender Wahlausgang in Frankreich?
In den deutschen Massenmedien und der regierungsnahen Blase wurde der Ausgang der zweiten Runde der französischen Parlamentswahl, bei der das Bündnis um das Rassemblement national (Nationale Sammlungsbewegung) „nur den dritten Platz“ belegte, wie eine freudige Sensation verkauft. Tatsächlich aber war angesichts des französischen Wahlsystems mit seinem Zuschnitt auf eine präsidiale „Demokratie“ sowie der Einladung zu „kandidatentaktischen“ Absprachen gemäß dem Mehrheitswahlrecht nichts anderes zu erwarten. D.h. es lag – entgegen den (klein- und passiv-)bürgerlichen Illusionen auf einen reinen elektoralen Machtwechsel im Rahmen eines scheindemokratisch-parlamentarischen Herrschaftssystems – auf der Hand, dass aufgrund der wechselseitigen taktischen Kandidatenunterstützung zwischen dem heterogenen linken Zweckbündnis „Nouveaux Front populaire“ (eilig-opportunistischer Zusammenschluss von „unbeugsamen“ proislamischen Linksradikalen/„Islamo-Gauchisten“, Sozialisten/Sozialdemokraten, Grünen und Restkommunisten) und dem Macron-Lager das Rassemblement national im zweiten Wahlgang „ausgebremst“ werden würde. So funktioniert die „bunt“ lackierte „Brandmauer“ globalkapitalistisch erwünschter Mischgesellschaften in den Farben Frankreichs gegen die standortnationalistische systeminterne Konkurrenz. (Warum Wahlen unter postdemokratischen Bedingungen generell keine progressive Umwälzung der politischen Machtverhältnisse bewirken können siehe hier: https://hintergrund-verlag.de/spaetkapitalistische-systementwicklung/hartmut-krauss-spaltung-der-gesellschaft-als-ausdruck-einer-tiefen-politischen-systemkrise/)
Im Gegensatz zu direktdemokratischen Volksabstimmungen nach chancengleichen öffentlichen Debatten, bei denen die Massenmedien nicht einseitig manipulieren sondern unparteiisch zu moderieren hätten, sind Parlamentswahlen unter den Bedingungen (spät-)kapitalistischer Herrschaftsverhältnissen keine realdemokratischen Teilhabeinstrumente, sondern lediglich Ausdrucksformen des (politisch-ideologisch „von oben“ geprägten) Massenbewusstseins. Je stärker allerdings der Konsensbruch zwischen Regierenden und Regierten trotz herrschaftskonformer Manipulation fortgeschritten ist, desto schwieriger gestaltet sich die politische Herrschaftsausübung z. B. in Gestalt der Notwenigkeit zur Bildung paradoxer Koalitionen. (Die Landtagswahlen in Ostdeutschland werden dieses Phänomen sehr wahrscheinlich ebenfalls bestätigen.)
Betrachten wir unter dieser Perspektive den Ausgang der zweiten Wahlrunde in Frankreich etwas genauer:
Das Rassemblement National erhielt 8. 744. 080 Stimmen. Das sind 20,08 % in Bezug auf die Gesamtmenge der Wahlberechtigten und 32,05 % der abgegebenen Stimmen. Damit erzielte es 88 Parlamentssitze in diesem zweiten Wahlgang (37 im ersten Wahlgang).
Das „Linksbündnis“ kam auf 7. 004.725 Stimmen. Das entspricht 16,7% der Gesamtmenge der Wahlberechtigten und 25,68% der abgegebenen Stimmen. Damit gewann es im Kontext der Absprachen 146 Parlamentssitze (32 im ersten Wahlgang).
Das Macron-Lager konnte 6. 313.808 Stimmen für sich verbuchen. Das entspricht 14,57% der Gesamtmenge der Wahlberechtigten und 23,14% der abgegebenen Stimmen. Damit errang es im Kontext der Absprachen 148 Sitze im Parlament (2 Sitze im ersten Wahlgang).
- 460.748 der Wahlberechtigten (33,7%) nahmen nicht an der Wahl teil. (Wahlberechtigte insgesamt: 43 328.507)
1. 194.970 der Wahlberechtigten (2,76% bezogen auf die Gesamtmenge der Wahlberechtigten und 4,14% der abgegebenen Stimmen) gaben einen leeren Stimmzettel ab.
393.076 der Wahlberechtigten (0,91% bezogen auf die Gesamtmenge der Wahlberechtigten und 1,36% der abgegeben Stimmen) gaben einen ungültigen Wahlzettel ab.
Für die regierungspolitische Zukunft Frankreichs darf man gespannt sein, zu welchen faulen Kompromissen und Koalitionen dieses Zweckbündnis aus marktradikalen Globalkapitalisten, islamophilen Linksradikalen, Grünen und Sozialdemokraten greifen wird, um sich in dem missratenen Stammland der europäischen Aufklärung an der Macht zu halten.
https://www.resultats-elections.interieur.gouv.fr/legislatives2024/ensemble_geographique/index.html
sowie die Nachdenkseiten:
Wende in Frankreich – gegen alle Voraussagen siegt die Linke