Rasiermesser der Nation

Die Französische Revolution hat die Guillotine zum Schreckensinstrument gemacht.
Dabei sollte die Apparatur ursprünglich Verurteilten die Qualen der Hinrichtung ersparen und die Todesstrafe humaner und gerechter gestalten.
und
vier Sonette von Georg Heym (1887 – 1912) :

                       Bastille

Die scharfen Sensen ragen wie ein Wald.
Die Straße Antoine ist blau und rot
Von Menschenmassen. Von den Stirnen loht
Der weiße Zorn. Die Fäuste sind geballt.

 

Ins Grau des Himmels steigt der Turm wie tot.
Aus kleinen Fenstern weht sein Schrecken kalt.
Vom hohen Dach, wo Tritt der Wachen hallt,
Das erzne Maul der grau’n Kanonen droht.

 

Da knarrt ein Tor. Aus Turmes schwarzer Wand
Kommt der Gesandten Zug in schwarzer Tracht.
Sie winken stumm. Sie sind umsonst gesandt.

 

Mit einem Wutschrei ist Paris erwacht.
Mit Beil und Knüttel wird der Turm berannt.
Die Salven rollen in die Straßenschlacht.

 

                     LOUIS CAPET[1]

Die Trommeln schallen am Schafott im Kreis,
Das wie ein Sarg steht, schwarz mit Tuch verschlagen.
Drauf steht der Block. Dabei der offene Schragen
Für seinen Leib. Das Fallbeil glitzert weiß.

5

Von vollen Dächern flattern rot Standarten.
Die Rufer schrein der Fensterplätze Preis.
Im Winter ist es. Doch dem Volk wird heiß,
Es drängt sich murrend vor. Man läßt es warten.

Da hört man Lärm. Er steigt. Das Schreien braust.

10

Auf seinem Karren kommt Capet, bedreckt,
Mit Kot beworfen, und das Haar zerzaust.

Man schleift ihn schnell herauf. Er wird gestreckt.
Der Kopf liegt auf dem Block. Das Fallbeil saust.
Blut speit sein Hals, der fest im Loche steckt.

Anmerkungen (Wikisource)

Ludwig XVI. (1754–1793), König von Frankreich. 1792 abgesetzt und 1793 von den Revolutionären als Bürger Louis Capet zum Tode verurteilt und hingerichtet.

 

                       Danton

»Mich töten? Herrscht der Wahnsinn im Konvent?
Die Schafe dulden es?« Und wütend greift
Ans Gitter seine Hand, das schneebereift.
Er schlägt die Stirn sich, die vom Wachen brennt.

 

»Wär es noch Marat, der im Staube schleift
Paris und mich. Doch solch ein Regiment,
Das nur aus Angst von Mord zu Morde rennt,
Und das mit Tugendschlamm das Volk beseift.

 

Der dürre Geckenkopf, der nichts vollbracht,
Er soll mich töten dürfen? Robespierre,
Ich zieh dich hinter mir in Todes Nacht.«

 

Er weint vor Wut. »Ist keine Rettung mehr?«
Des Halstuchs rote Seide wird ihm sacht
Von Tränen schwarz. Die Augen werden leer.

                   ROBESPIERRE[1]

Er meckert vor sich hin. Die Augen starren
Ins Wagenstroh. Der Mund kaut weißen Schleim.
Er zieht ihn schluckend durch die Backen ein.
Sein Fuß hängt nackt heraus durch zwei der Sparren

5

Bei jedem Wagenstoß fliegt er nach oben.
Der Arme Ketten rasseln dann wie Schellen.
Man hört der Kinder frohes Lachen gellen,
Die ihre Mütter aus der Menge hoben.

Man kitzelt ihn am Bein, er merkt es nicht.

10

Da hält der Wagen. Er sieht auf und schaut
Am Straßenende schwarz das Hochgericht.

Die aschengraue Stirn wird schweißbetaut.
Der Mund verzerrt sich furchtbar im Gesicht.
Man harrt des Schreis. Doch hört man keinen Laut.

Anmerkungen (Wikisource)

Maximilien de Robespierre (1758–1794), französischer Politiker; wurde am 28. Juli 1794 in Paris enthauptet.

Quelle:

https://de.wikisource.org/wiki/Robespierre_(Heym)

Tragen Sie sich für den wöchentlichen Medienüberblick - den Freitagsbrief - ein!

Es wird kein Spam geschickt! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.