Die (Selbst) Zerstörung der deutschen Linken

29. August 2023

Jean Fuchs

 

Rezensi­­­­­on

zum Buch von Sven Brajer,

Die (Selbst) Zerstörung der deutschen Linken

im Promedia Verlag, Wien, 2023, 229 Seiten.

 

Ich habe das Buch von Sven Brajer gelesen und fand es sehr interessant und aufschlussreich. Das Buch ist eine mutige und provokante Kritik an der deutschen Linken, die sich von ihren ursprünglichen Idealen entfernt und sich dem neoliberalen System angepasst hat.

Brajer zeigt, wie die Linke ihre soziale Basis verloren, ihre politische Vision verwässert und ihre moralische Autorität verspielt hat. Er deckt die Widersprüche, die Heuchelei und die Intoleranz der Linken auf, die sich als progressiv, weltoffen und antirassistisch ausgibt, aber in Wirklichkeit elitär, abgehoben und dogmatisch ist.

Er plädiert für eine radikale Erneuerung der Linken, die sich wieder auf die materiellen Interessen und die kulturelle Vielfalt der Menschen konzentriert, statt auf identitäre Symbolpolitik und moralischen Rigorismus.

Im ersten Kapitel des Buches beschreibt der Autor, der als Insider der Linkspartei betrachtet werden kann, die Anfänge der neuen Partei in der Umbruchphase 89/90. Nach Darstellung des Autors sei der Sprung des Ex-DDR-Bürgers vom „Kasernensozialismus“ zum Kapitalismus ein Sprung ins kalte Wasser gewesen.

In der Vorläuferorganisation PDS rekrutierten sich deren neuen Vordenker Gysi, Brie und Bisky aus staatselitären DDR-Familien. Insofern könnte man nach meiner Interpretation diesen Personenkreis auch als den künstlich geschaffenen Adel des real existierenden Sozialismus betrachten.

Dennoch war der Handlungsdruck für eine Wiedervereinigung derart groß, dass auch gestandene Widerstandskämpfer des Forums der damals noch existierenden DDR sich geschlagen geben mussten, so dass der Zug in diese Richtung nicht mehr aufzuhalten war.

Der Autor vertritt die Ansicht, dass sich in der Anfangsphase bereits abzeichnete, dass diese Partei sich als Nachhut der Sozialdemokratie und der Grünen formierte. Der „autoritär eingestellte“ Ministerpräsident von Baden-Württemberg sei ein besonderes Beispiel dieser Klientel, die sich noch in den siebziger Jahren in K-Gruppen fanden und heute zum politischen Establishment gehören.

Pikant ist der Hinweis, dass Gysi damals verkündete, dass es den Herrschenden gelungen sei Russland und den Islam als neues Feindbild aufzubauen, die uns in in einen neuen Krieg hineinziehen könnten.

Hans Modrow bezeichnete den Maastricht-Vertrag als ein Instrument der Spaltung entlang den Reihen von Nord und Süd, Arm und Reich, zwischen Ost und West und zwischen den Bürgern und den Regierungen. Ja, es würde dabei eine Art sozialdarwinistisches Europa entstehen, bei dem Deutschland und die zehn Prozent Reichsten in den jeweiligen Ländern die führende Rolle spielen würden, das dem Ziele eines friedlichen, nicht-militärischem, eines demokratischen, rechtsstaatlichen sozialem und ökologischen Europa zuwiderlaufen würde.

Wie sollte Hans Modrow in seiner damaligen Einschätzung doch recht behalten! Die von Modrow geforderten Ideale eines Europas sind tatsächlich durch diesen Vertrag konterkariert worden. Vielleicht hat das Primat der Ökologie noch eine gewisse Berechtigung, dennoch reduziert sich dieser nur noch auf die Klimapolitik und verläuft entlang der Bevormundung und Entrechtung der europäischen Bürger, wobei die sozialen Folgen bestenfalls nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Nur die Reichsten der Reichen profitieren von dieser Europapolitik und der Militarisierung der EU unter dem Deckmantel der NATO. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, als Anlass dieses Prozesses, schreitet diese Entwicklung in großen Schritten voran, ja läuft den Forderungen aus Washington in vorauseilendem Gehorsams stets hinterher. Die Verwirklichung eines demokratischen Europas dürfte damit in weite Ferne gerückt sein.

Gysi forderte damals eine globale Kapitalertragssteuer von zehn Prozent und die Kürzung des Rüstungsetats um die Hälfte. Hierzu kann ich nur konstatieren, dass der US-amerikanische Investor Warren Buffett einmal gesagt haben soll, dass die künftige Entwicklung ein Kampf zwischen Arm und Reich sein werde, bei dem die Reichen am Ende gewinnen würden.

Im weiteren Verlauf beschreibt der Autor den Annäherungsprozess an die SPD, wobei die ursprünglichen Anliegen der Partei, die Abkehr vom Neoliberalismus peu á peu über Bord geworfen wurden.

Das zweite Kapitel des Buches befasst sich mit dem „langen Weg ins bundesdeutsche Establishment 2007-2014“. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang u.a. von den „Dialektikern zu braven Untertanen“. Er benennt die neuen Propagandahelden mit „Jan Böhmermann, Sascha Lobo, Karl Lauterbach oder Christian Drosten“. Die Sänger der „Toten Hosen“ sollen die Linkspartei und insbesondere Lafontaine als „Brechmittel“ bezeichnet haben. Angekommen im politischen Mainstream sei insbesondere das Duo „Kipping / Riexinger“. Dieter Dehm soll resümiert haben, dass in dieser Partei nur noch Leute Karriere machten, die „nichts auf dem Kasten“ haben.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der „transatlantischen Einflussnahme“. Diese Art der Einflussnahme wird sehr detailliert beschrieben, enthüllt jedoch von den prinzipiellen Methoden her  betrachtet keine Neuigkeiten, da diese Methode bei den Grünen schon Jahre zuvor mit großem Erfolg praktiziert wurde.

Folgerichtig wurde dann Ost- und Mitteleuropa, dem neuen Duktus der Partei folgend als das „Reich des Bösen“ suggeriert. Die „Zeitenwende“ lokalisiert der Autor dann auch bei führenden Personen dieser Partei wie Gysi, Ramelow und Konsorten.

In Bezug auf den Ukraine-Krieg fabuliert der Autor berechtigterweise über die Narrative der westlich orientierten Parteien und Allianzen, die unisono hinterfragt werden müssten und lediglich der Legitimation der Eskalation des Krieges dienen und die wohlweislich heute „linke“ Politiker  übernommen haben. Dieser „beschränkte Meinungskorridor“ habe letztendlich der AfD weitere Wählerschichten zugeführt.

Im sechsten Kapitel beschreibt der Autor die Säulen der „neuen Linken“ mit „Regenbogenflagge, Klimareligion, Migrationskult sowie falsche Toleranz statt Klassenkampf“. Eine etwas zeitversetzte ähnliche Entwicklung war aus meiner Sicht bereits bei den Grünen erkennbar. Statt Kapitalismuskritik quillt nur noch ein undefinierbarer, woker Nebel aus dem Sumpf der „Neuen Linken“ hervor.

Sehr dezidiert zeichnet der Autor diese Selbstzerstörungstendenz im Sinne der Selbstaufgabe linker Prinzipien in den nachfolgenden Kapiteln auf. Diese Entwicklung hat in der Tat große Ähnlichkeiten mit den Grünen. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass den Grünen die Stammwähler (noch) nicht weglaufen.

Die Entwicklung der Linken und Grünen zeigt deutlich die defizitären Elemente des Parlamentarismus auf. Der direkte Weg von der Uni in die Politik ohne jemals einer normalen Tätigkeit nachgegangen zu sein, ist ein wesentliches Element dieser Entwicklung hin zu einer Lebensfremde, eines fortschreitenden Realitätsverlustes bis hin zu einer Art von Blindgängertum, die einer Massenpsychose ähnelt und die letztendlich als das „woke Lebensgefühl“ bezeichnet werden kann.

Womit sich der Satz von Karl Marx bewahrheitet haben mag, dass das materielle Sein das Bewusstsein bestimme. Insofern kommt der Linken immerhin noch zu Gute, dass sie den Wahrheitsgehalt dieses Satzes offenkundig verifiziert hat.

Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur aktuellen politischen Debatte in Deutschland und ein Weckruf für alle, die sich eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft wünschen. Ich empfehle das Buch allen, die sich für Politik, Geschichte und Gesellschaft interessieren. Es ist gut geschrieben, gut recherchiert und gut argumentiert. Es ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt und zum Diskutieren einlädt. –

 

Sven Brajer,

Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken.

Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment,

Wien 2023,

229 Seiten, 22 Euro

 

 

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