„Schicksalswahl“ in der Türkei – „Deutschtürken“ als Zünglein an der Waage?

09.05.2023

Hartmut Krauss

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„Schicksalswahl“ in der Türkei – „Deutschtürken“ als Zünglein an der Waage?

 

Laut vorliegenden Berichten müssen sich Erdogan, die AKP und die mit ihnen verbündeten rechtsextremistischen Parteien MHP und BBP (beide aus dem Spektrum der „Graue Wölfe“) sowie kleinere radikalislamische Parteien einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Oppositionsbündnis unter Führung der CHP (kemalistische „Republikanische Volkspartei“) stellen.

Wahlentscheidend könnten angesichts dieser Konstellation die Stimmen der wahlberechtigten Auslandtürken sein und hier insbesondere die der überwiegend „rechtskonservativ“ ausgerichteten „Deutschtürken“. So hatten bei der letzten Wahl 2018 die Türken in Deutschland, wo die meisten Türken im Ausland leben (1,5 Millionen Menschen mit türkischem Pass) im Durchschnitt mit Zweidrittelmehrheit für Erdogan, die AKP und die „Grauen Wölfe“ gestimmt.

2018 lag die Wahlbeteiligung bei relativ mäßigen 38,5 Prozent. Diesmal soll sie bei 43 Prozent gelegen haben. „In den vergangenen Tagen hätten in Deutschland 642.000 Menschen gewählt, sagte Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. (…) Innerhalb Deutschlands leben mit gut 500.000 Wahlberechtigten die meisten in Nordrhein-Westfalen. Dort gaben bis Montag 251.522 Personen ihre Stimme ab, wie die türkische Wahlbehörde meldete. Unter den deutschen Städten waren die Wählerinnen und Wähler in Essen mit 79.644 Stimmabgaben bis Montag am aktivsten.“ Zur Erinnerung: In Essen wählten 2018 66,5 Prozent der „Deutschtürken“ AKP und 76,9 Prozent Erdogan.  –

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Wie kam es eigentlich zur Masseneinwanderung von Türken nach Westdeutschland und damit zur sich erweitert reproduzierenden Ansiedlung islamischer Herrschaftskultur hierzulande?

„Infolge der extensiven Wachstumsstrategie in der noch anhaltenden Wiederaufbauphase des westdeutschen „Vollbeschäftigungskapitalismus“ überstieg zu Anfang der 1960er Jahre die Zahl der offenen Stellen die Zahl der Arbeitslosen. Nach dem Mauerbau 1961 drängte deshalb das westdeutsche Kapital aus seiner kurzfristigen Interessenlage verstärkt auf den Import ausländischer Arbeitskräfte. Daraufhin kam es zur Anwerbung von mehrheitlich un- und angelernten Gastarbeitern, die überwiegend in der Schwerindustrie, im Straßenbau und der industriellen Massenproduktion eingesetzt wurden.

Zunächst hatte die christdemokratisch geführte Adenauer-Regierung die Anwerbung von Arbeitskräften nur auf europäische Länder ausgerichtet und die Türkei gar nicht im Blick gehabt. Erst als die Türkei in der damals zugespitzten Phase des Kalten Krieges mit dem eifersüchtigen Argument intervenierte, man wolle als NATO-Land nicht diskriminiert und mit Griechenland gleichbehandelt werden, wurde 1961 auch ein Anwerbeabkommen mit der Türkei vereinbart. Die Initiative zur Einwanderung von Türken nach Deutschland ging also in diesem konkreten Fall nicht von Westdeutschland, sondern von der Türkei aus. Im Endergebnis bildeten Anfang der 1970er Jahre Arbeitsmigranten aus der Türkei (605.000), dem damaligen Jugoslawien (535.000) und aus Italien (450.000) die größten Gruppen.

Zunächst hatte die christdemokratisch geführte Adenauer-Regierung die Anwerbung von Arbeitskräften nur auf europäische Länder ausgerichtet und die Türkei gar nicht im Blick gehabt. Erst als die Türkei in der damals zugespitzten Phase des Kalten Krieges mit dem eifersüchtigen Argument intervenierte, man wolle als NATO-Land nicht diskriminiert und mit Griechenland gleichbehandelt werden, wurde 1961 auch ein Anwerbeabkommen mit der Türkei vereinbart. Die Initiative zur Einwanderung von Türken nach Deutschland ging also in diesem konkreten Fall nicht von Westdeutschland, sondern von der Türkei aus. Im Endergebnis bildeten Anfang der 1970er Jahre Arbeitsmigranten aus der Türkei (605.000), dem damaligen Jugoslawien (535.000) und aus Italien (450.000) die größten Gruppen.

Zunächst hatte das zuständige Arbeitsministerium unter Führung von Theodor Blank ablehnend bis zurückhaltend auf die türkische Initiative reagiert, da es die konflikthaltige kulturell-religiöse Differenz der türkischen Zuwanderer gegenüber der westdeutschen Aufnahmegesellschaft durchaus als Problem erkannte. Als stärker erwies sich letztlich aber der Druck der Führungsmacht USA, die dem globalstrategisch wichtigen NATO-Partner Türkei zur Seite stand und dessen sozialökonomische Interessenlage unterstützte. So wurde schließlich die Verhandlungsführung vom Arbeitsministerium auf das Außenministerium übertragen und das Abkommen beschlossen.

Das Anwerbeabkommen lag demnach viel mehr im Interesse der Türkei als es deutschen Interessen entsprach, da Westdeutschland ja durchaus auf Arbeitskräfte aus zahlreichen anderen, kulturell-religiös weniger differenten Ländern hätte zurückgreifen können. Im Einzelnen ging es dem türkischen Staat um folgende Interessen: Da zwischen 1955 und 1975 die Bevölkerungszahl von 24 auf 40 Millionen gestiegen war – was einem Wachstum von 2,4% jährlich entsprach – hatte (und hat) der türkische Staat ein großes Eigeninteresse an der Auslagerung eines Teils seiner Überbevölkerung. Damit profitierte er zum einen unmittelbar durch die Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes und zum anderen zusätzlich durch Deviseneinahmen (Geldüberweisungen der Arbeitsmigranten in die Heimat) sowie durch Gratismodernisierung in Form reimportierter Qualifikationen.“

50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei

 

Kommentar Dr. Gudrun Eussner:

Meine Erfahrung aus mehreren Ländern ist, daß die meisten Auslands-Bürger mehrheitlich die Partei wählen, mit der sie ihr geliebtes Heimatland in der Ferne verbinden. Für die Franzosen in Berlin war das die RPR/UMP. Und das ist für die Türken die Partei des Büyük Lider Recep Tayyip Erdogan.

 

 

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