Die Silvesterunruhen und die Dysfunktionalität der politischen Kultur Deutschlands

„Die Reaktionen der politischen Eliten Deutschlands auf die jüngsten Silvesterunruhen unterstreichen, dass die politisch-strategische Kultur des Landes weitestgehend dysfunktional geworden ist. Kein Vertreter der höchsten Führungsebenen von Politik und Behörden und keine Institution in Deutschland scheint mehr fähig dazu zu sein, den im Zusammenhang mit den Unruhen sichtbar gewordenen Herausforderungen für die öffentliche Sicherheit zu begegnen oder diese überhaupt anzusprechen. Die Ursachen dafür sind sowohl kultureller als auch charakterlicher Natur.

Der Strategieforscher Colin S. Gray beobachtete, dass scheiternde Staaten oft von einem Phänomen geprägt seien, dass er als „dysfunktionale strategische Kultur“ bezeichnete. Die politischen Eliten solcher Staaten hingen häufig Weltbildern und Einstellungen an, die zu irrationalem, den jeweiligen Herausforderungen nicht angemessenem oder bei deren Bewältigung kontraproduktivem Verhalten führten. Ob eine strategische Kultur dysfunktional sei, lasse sich nur im jeweiligen historischen Kontext beurteilen. Das entscheidende Kriterium dafür sei, ob strategische Entscheidungen zum Überleben bzw. zur Sicherheit des Gemeinwesens beitrügen oder nicht.1

Die Grundlage strategischen Handels ist die Lagebeurteilung, die mit der richtigen Ansprache der Herausforderungen beginnt, denen man gegenübersteht. Bislang mangelt es in Staat und Gesellschaft jedoch an der Anerkennung der Tatsache, dass ein großer Teil der an den Unruhen beteiligten Personen nahöstliche Migrationshintergründe aufweist, wie aus Sicherheitskreisen bekannt wurde. Viele der Beteiligte waren offenbar irreguläre Migranten, die ab 2015 illegal nach Deutschland einreisten. Die strategische Diskussion kreist aufgrund dieser mangelhaften Lagebeurteilung um Maßnahmen wie das Verbot bestimmter Feuerwerkskörper, die absehbar wirkungslos bleiben werden. Konsequenzen daraus, dass ähnliche Tätergruppen bereits bei den Unruhen in Köln und anderen Städten zu Silvester 2016 und bei den Unruhen in Stuttgart 2020 oder auch in den jüngsten Unruhen in Österreich, Belgien, Frankreich und den Niederlanden in Erscheinung traten, stehen hingegen nicht zur Debatte. Gilles Kepel, einer der weltweit führenden Experten für islambezogene politische Gewalt, warnte daher schon vor einigen Jahren davor, dass diese Entwicklung langfristig zu größeren ethnischen und religiösen Konflikten in Europa führen könne.2 Auch US-amerikanische Nachrichtendienste halten ein solches Szenario für möglich.

Die Ursache für diese mangelhafte Lagebeurteilung liegt nicht in einem Mangel an Informationen, da Erkenntnisse über die soziokulturellen Hintergründe solcher Unruhen durchaus zur Verfügung vorliegen und die wenigen Experten, die sie formuliert haben, vielfach öffentlich vor solchen Vorfällen gewarnt haben.

Die Ursache für diesen Mangel ist vielmehr ein offensichtlicher Unwille dazu, gegen die politischen Tabus zu verstoßen, die sich in Deutschland in den vergangenen Jahren durchgesetzt haben. (Hervorhebung GB)

Die Kriminologin Dorothee Dienstbühl hatte bereits vor Jahren davor gewarnt, dass das Eindringen radikaler linksidentitärer Ideologie in staatliche Institutionen der öffentlichen Sicherheit schade.

Diese Ideologie lehne die Ansprache von Bedrohungen und Phänomenen mit Migrationsbezug bzw. mit Bezug zu bestimmten Kulturen grundsätzlich ab. (Hervorhebung GB)

Dies erzeuge ein Klima, in dem die kulturelle Dimension von Kriminalität zunehmend ausgeblendet werde. Dies helfe Kriminellen und schwäche den Staat bei seinem Vorgehen gegen sie. Für die Demokratie und den Rechtsstaat in Deutschland seien diese Entwicklungen „gefährlich“.3

Defizite im Bereich der strategischen Kultur sind nur schwer korrigierbar, da sie meist mit charakterlichen Tauglichkeitsmängeln der Verantwortlichen verbunden sind. Trotz besseren Wissens und der mit dem eigenen Amt verbundenen Verantwortung zu den Hintergründen und Ursachen von Bedrohungen für Staat und Gesellschaft zu schweigen oder diese verzerrt darzustellen, setzt eine charakterliche Disposition dazu voraus, Faktoren wie soziale Anerkennung über die eigene Pflicht gegenüber dem Gemeinwesen zu stellen. Diese Disposition macht ihre Träger untauglich dazu, Verantwortung zu tragen. Heinz Karst, der eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Führungsphilosophie Bundeswehr spielte, betonte in diesem Zusammenhang, dass die wichtigste charakterliche Voraussetzung für Personen in Führungsverantwortung „eine gelassene, männliche Freiheit gegenüber der öffentlichen Meinung“ sei. Man könne seiner Verantwortung nur gerecht werden, wenn man das Notwendige ausspreche. Die Neigung, „nur nicht anzuecken, nur nicht angegriffen zu werden, stets anerkannt, unauffällig und beliebt zu sein, dieses Kennzeichen der Außenleitung des Menschen durch die Umwelt“ sei für Menschen in Führungsämtern „tödlich“. Wer aus Furcht vor der öffentlichen Meinung schweige, wo er die Pflicht dazu hätte das Wort zu ergreifen, erleide einen „Bruch im Charakter, der nicht wieder gutzumachen ist“.4

Falls es nicht gelingen sollte, eine politische Elite in Deutschland zu formieren, die dazu in der Lage ist, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, könnte laut dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio der Bestand der politischen Ordnung in Frage gestellt werden:

„Der Sinn des Staates ist es, eine Friedensordnung zu garantieren, in der sich die Bürger gleichberechtigt und frei entfalten können. […] Es ist selbstverständlich, dass von Freiheit in einem substanziellen Sinn nur die Rede sein kann, wenn zugleich Sicherheit gewährleistet ist. Wenn der Nachtwächterstaat nachts schläft und nicht mitbekommt, was passiert, dann haben wir ein Problem im Kernbereich der Staatlichkeit […]. [W]enn zu viele Vollzugsdefizite auftreten, tatsächlich oder wahrgenommen, dann beginnt der Bürger grundsätzliche Fragen zu stellen. Dann wird die Systemfrage gestellt.“5

Zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hatte Di Fabio zuvor der Bundesregierung wegen der Öffnung der Grenzen für illegal Migranten Rechtsbruch und Untergrabung des Rechtsstaates vorgeworfen. Papier zufolge läge im Fall der Grenzöffnung nicht nur „ein eklatantes Politikversagen“ vor. Der Verfassungsstaat habe die „zentrale Verpflichtung, Gefahren entgegenzutreten, die durch eine dauerhafte, unlimitierte und unkontrollierte Migration in einem noch nie da gewesenen Ausmaß entstehen können.“6 (sw)

Quellen

  1. Colin S. Gray: Modern Strategy,  Oxford 1999, S. 146-149.
  2. Robert F. Worth: „The Secularist“, New York Times, 09.04.2017, S. 33.
  3. Dorothee Dienstbühl: „Verstörende Menschenbilder“, Deutsche Polizei, Nr. 7/2020, S. 6-13.
  4. Heinz Karst: Das Bild des Soldaten. Versuch eines Umrisses, Boppard 1964, S. 72 f.
  5. Thorsten Jungholt: „‚Dann stellt der Bürger die Systemfrage’“, Die Welt, 10.04.2017, S. 5.
  6. Thorsten Jungholt: „Alternativlos ist nur der Rechtsstaat“, Die Welt, 14.01.2016, S. 7.  „

 

Kommentar GB:

Statt Probleme zu lösen, wird alles dafür getan, die Parallelgesellschaften weiter zu stärken.

Folglich sind zukünftig weitere und noch stärkere Ereignisse dieser Art zu erwarten.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article243009749/Deutschland-Vertrauen-in-alle-politischen-Institutionen-sinkt-drastisch.html

 

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