Von der Realität überholt: Zum Impfpflichturteil des Bundesverfassungsgerichts

22. 05. 2022  –  Hartmut Krauss

Bei aller regierungskonformen Auslegungswillkür und sachlichen Unangemessenheit des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur berufsbezogenen Impfpflicht https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/04/rs20220427_1bvr264921.html halten die Richter doch ein Türchen zur Korrektur im Sinne wissenschaftlicher Vernunft offen. Siehe dazu das folgende Zitat (Randnummer 167):

„Liegen der gesetzlichen Regelung prognostische Entscheidungen zugrunde, kann die Eignung nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern lediglich danach beurteilt werden, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, dass die Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet, ob seine Prognose also sachgerecht und vertretbar war. Erweist sich eine Prognose nachträglich als unrichtig, stellt dies jedenfalls die ursprüngliche Eignung des Gesetzes nicht in Frage. Die Eignung setzt also nicht voraus, dass es zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung oder Wirksamkeit der Maßnahmen gibt (vgl. BVerfGE 156, 63 <140 Rn. 264>). Allerdings kann eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr tragen (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 186 m.w.N.).“

Genau dieser Fall, dass „ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr tragen“, ist mittlerweile aber tatsächlich eingetreten. Insofern müsste die damit gesetzte Ausstiegsklausel aus der Impfpflicht aktuell vollzogen werden.

Wie RA M. Haintz in einer Nachricht auf Telegramm festgestellt hat, wird die Bedingung für diese Ausstiegsklausel seit 5.5.2022 laut @ rki-de explizit erfüllt. Denn die Urteilsbegründung bezieht sich auf den RKI-Sachstand vom 21.4.2022. Demnach ging die Annahme des BVerfG (fälschlich auch bereits schon zu diesem Zeitpunkt) davon aus, dass die  Infektionsgefährdung für Ungeimpfte deutlich höher sei als für Geimpfte. „Dies erklärt das BVerfG in Rn 185 aufgrund der Daten vom @PEI-Germany und @rki-de: ‚Zusammenfassend schätzt das Robert-Koch-Institut die Infektionsgefährdung für die Gruppe 3/9 der Ungeimpften letztlich nach wie vor als sehr hoch, für die Gruppen der Genesenen und Geimpften mit Grundimmunisierung als hoch und für die Gruppe der Geimpften mit Auffrischimpfung als moderat ein (vgl. RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom 21. April 2022, S.4).‘ 4/9

Diese Daten haben sich laut RKI inzwischen verändert: Die Infektionsgefahr ist seit mehreren Wochen für alle Gruppen gleich (für Geboosterte sogar noch geringfügig höher) Siehe: https://rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Inzidenz_Impfstatus.html , 18-59 Jahre 5/9

Die Differenzierung nach Impfstatus entfällt deshalb laut RKI seit 5.5.2022. ‚Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung durch COVIDS-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als hoch ein.‘ 6/9

Dieser Satz ersetzt beim RKI seit 5.5. den vom @BVerfG im Urteil zitierten obigen Satz. Quelle: RKI Wöchentlicher Lagebericht vom 5.5.2022, Seite 4 7/9

Die sehr lange Urteilsbegründung der BVerfG wurde mehrere Wochen geschrieben und ist inzwischen veraltet. Sie beruft sich auf Daten und Einschätzungen des RKI, die inzwischen vom RKI widerrufen wurden. Ohne Fremdschutz ist laut BVerfG keine Impfpflicht möglich. 8/9

Covid ist eine dynamische Situation, im Moment ist eine Impfpflicht durch das BVerfG Urteil nicht gedeckt. 9/9“

 

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