Nach dem Kopftuch-Urteil des BAG

Jus­tiz­mi­nister will neu regeln, Bil­dungs­se­na­torin Ver­fas­sungs­be­schwerde prüfen

28.08.2020

Nach dem BAG-Urteil zum pauschalen Kopftuchverbot für Lehrerinnen werden Rufe nach einer Reform des Berliner Neutralitätsgesetzes laut. Justizminister Behrendt fordert eine Änderung noch in dieser Legislaturperiode.
„Die Reaktionen auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum pauschalen Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Berliner Neutralitätsgesetz fallen unterschiedlich aus. Die Berliner Bildungssenatorin zeigte sich enttäuscht. Auch von Seiten der CDU kam Kritik. Verständnis gab es dagegen von der evangelischen Kirche.
Das BAG wies am Donnerstag die Revision des Landes Berlin gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin zurück. Dieses hatte einer muslimischen Lehrerin im November 2018 rund 5.160 Euro Entschädigung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuchs nicht in den Schuldienst eingestellt worden war. Das LAG entschied damals, dass das Berliner Neutralitätsgesetz im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum pauschalen Kopftuchverbot an Schulen in Nordrhein-Westfalen verfassungskonform ausgelegt werden müsse.
Dem schloss sich das BAG am Donnerstag an. Sofern das Tragen des Kopftuchs nachvollziehbar auf ein verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei, führe die Regelung in § 2 des Neutralitätsgesetzes, die das Tragen des Kopftuchs und anderer religiöser Kleidungsstücke oder Symbole ohne Weiteres verbietet, zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit. Die Regelung sei in solchen Fällen daher verfassungskonform so auszulegen, dass das Verbot nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gilt. Eine solche konkrete Gefahr für diese Schutzgüter habe das beklagte Land Berlin indes nicht dargetan, so das BAG.“ (…)


https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/reaktionen-urteil-bag-8azr62-19-kopftuch-lehrerin-neutralitaetsgesetz-religionsfreiheit/?utm_medium=email&utm_source=WKDE_LEG_NSL_LTO_Daily_EM&utm_campaign=wkde_leg_mp_lto_daily_ab13.05.2019&utm_source_system=Eloqua&utm_econtactid=CWOLT000019535788
https://www.tagesspiegel.de/berlin/reaktionen-von-paedagogen-auf-kopftuch-urteil-wir-haben-schueler-aus-gegenden-in-denen-unglaeubige-bekaempft-werden/26138130.html
Kommentar GB:
Abgesehen von einer überzogen formalistischen Denkweise besteht das Problem im Fehlen einer Zusammenhang stiftenden inhaltlich-historischen Bildung von Juristen, hier bezüglich der Frage :“Was ist der Islam?“ (Tilman Nagel). Das ist aber nur der besondere Fall eines allgemeineren Problems der juristischen Ausbildung: sie qualifiziert nur zur Anwendung rechtlicher Normen, aber sie kann zugleich aus sich heraus durch nichts gewährleisten, das sie in der Lage ist, jenseits ihres Abitur- und Alltagswissens etwas über das gesellschaftliche Sein auszusagen, ohne dabei zu dilettieren, oder sich dilettierend politischer Opportunität zu fügen; wie anscheinend in diesem Fall.
Rechtswissenschaft und Rechtsprechung sind als Normwissenschaft und deren Anwendung zu ontologischen Urteilen nicht fähig. Dazu fehlen ihnen auf der Ebene des Wissens alle Voraussetzungen. Und dieser Umstand erzwingt geradezu ihren Dilettantismus, der, wenn er nicht durch Willkür noch gesteigert wird, nur dadurch geheilt werden kann, daß der  wissenschaftliche state of the art – also der derzeitige wissenschaftliche Erkenntnisstand – zur Grundlage inhaltlicher Einordnungen gemacht wird. Soweit das gesehen wird, werden Gutachter bemüht, was bestenfalls hinreichen kann, oft aber ebenfalls problematisch bleibt.
Und so urteilen sie, zwar nicht immer, aber immer wieder über Sachverhalte, die sie inhaltlich gar nicht begriffen haben können, weil ihnen das dafür nötige Wissen fehlt.
Und das erklärt die Binde vor den Augen, die Justitia trägt.
Hier kann man lesen, wie die Islam-Szene auf das Urteil reagiert hat:

Sieg für die Verfassung

Lehrerin mit Kopftuch in Berlin darf unterrichten – sogenannte „Neutralitätsgesetz“ war rechtswidrig und diskriminierend – Lob von den Kirchen und ZMD


http://www.islam.de/32548.php
Kommentar Hartmut Krauss:

„Das Urteil ist  – leider – wenig überraschend. Es liegt ganz auf der Linie vorheriger Rechtsprechung in Sachen Islam und spiegelt die politisch-ideologischen Herrschaftsverhältnisse des „postsäkularen Spätkapitalismus“  auf juristischer Ebene.

Dazu hatte ich schon einige Texte veröffentlicht. Deren Grundinhalte braucht man jetzt eigentlich nur an dieses neue (Schand-)Urteil dranheften.

Als Beispiel dieser Auszug aus einer Stellungnahme der GAM e.V. zur Aufhebung des Kopftuchverbots durch das Bundesverfassungsgericht:

 http://www.gam-online.de/text-aufhebung.html

(…) Genau auf dieser Linie der Legalisierung und Wegbereitung der islamischen Herrschaftsideologie unter missbräuchlicher Auslegung der „Religionsfreiheit“ als „Obergrundrecht“ liegt auch das jetzt veröffentlichte Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es beruft sich auf die „Religionsfreiheit“ als Persilschein für die Auslebung einer antiemanzipatorischen Weltanschauung im religiösen Gewand und erklärt Kopftuchverbote für muslimische Lehrerinnen als unzulässig. Allerdings ist dieses Urteil wenig überraschend weil logisch völlig konsequent: Wer nämlich flächendeckend bekenntnisreligiösen islamischen Religionsunterricht einführt, islamische Theologieinstitute und bekenntnisreligiöse Ausbildungsstätten für Islamapologetik und Islamlehrer/innen einrichtet, der muss natürlich auch mit der verfassungsrechtlichen Axt den Weg für das Tragen von Kopftüchern für muslimische Lehrkräfte freischlagen und damit einen weiteren Meilenstein der Islamisierung einrammen. Insofern war diese „Korrektur“ noch bestehender Kopftuchverbote absolut folgerichtig.

Wer sich jetzt punktuell über dieses Urteil erregt, den Gesamtkontext der staatlichen Islamisierungspolitik aber ausgeblendet lässt, hat immer noch nicht begriffen, dass eine Umkehr im Sinne der Zurückdrängung islamischer Herrschaftskultur im Rahmen der bestehenden politischen Macht- und Organisationsverhältnisse nicht zu haben ist. Dazu bedarf es der Herausbildung einer wirkungsmächtigen außerparlamentarischen Oppositionsbewegung, die in Anknüpfung an dieses Urteil auch eine Trainingsgelegenheit offeriert bekommt. Wo nichtmuslimische Schüler und Eltern mit dem Auftreten kopftuchtragender Lehrerinnen konfrontiert sind, gilt es zukünftig „substanzielle Konfliktlagen“ zu schaffen, die zu einer „hinreichend konkreten Beeinträchtigung des Schulfriedens“ führen und eine Resäkularisierung des Bildungssystems anstreben. Der proislamische Erfüllungsstaat hat regelrecht um den Ausbruch eines ideologischen Kulturkampfs zwischen Islamisierern und Deislamisierern gebettelt. Dann sollte er ihn jetzt auch bekommen. (Hervorhebung GB)

Im Folgenden ein Auszug zur Kritik der politisch-rechtlichen Untergrabung der säkularen Demokratie aus Hartmut Krauss „Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung. Ein analytischer Leitfaden. Osnabrück 2013, S. 196ff.:
„Die deutsche Dogmatik der Religionsfreiheit krankt (…) an ihrer einseitigen Fixierung auf das Christentum sowie an der Verkennung der islamischen Wesensspezifik. Ihr Grundfehler ist die unbedachte Übertragung der dem postaufklärerischen Christentum aufgenötigten Eigenschaftsform auf den Islam. Hinzu kommt eine willkürliche Überstrapazierung der (positiven) Religionsfreiheit gegenüber anderen Grundrechten und damit tendenziell eine revisionistische Umkehrung der säkular-demokratischen Verbindlichkeiten.

Während der Islam einerseits als introvertierte Privatreligion fehlinterpretiert wird, läuft diese Umkehrung andererseits darauf hinaus, die normativen Verbindlichkeiten und Überzeugungen eines grund- und menschenrechtswidrigen Gottesglaubens generell zu verabsolutieren und gegenüber kritisch begründeten Einschränkungen zu immunisieren. Inthronisiert werden soll auf diese Weise ein unantastbares und vorrangiges ‚Obergrundrecht‘ für die positive Religionsfreiheit. Damit werden Grund- und Menschenrechtsverletzungen sowie Zuwiderhandlungen gegen die säkular-demokratische Werte- und Lebensordnung im Prinzip Tür und Tor geöffnet, wenn sich deren Handlungsträger auf religiöse Begründungen/Überzeugungen/Gewissenskonflikte berufen bzw. von außen betrachtet darauf zurückführen lassen. Längst wird den orthodoxen Muslimen, orthodoxen Juden und fundamentalistischen Christen von einer bestimmten Gesinnungsfraktion postmoderner Juristen ein sonderrechtlicher Persilschein ausgestellt bzw. ein Religionsbonus gewährt, wenn es darum geht, deren grund- und menschenrechtswidrige Einstellungen und Sozialisationspraxen zu legitimieren. Die Anfeuerungsparole lautet ‚Du musst nicht verfassungstreu sein‘: ‚Das Grundgesetz verlangt Verfassungstreue von den Trägern der staatlichen Gewalt, die es verfasst, aber nicht von den Bürgern. Etwas anderes gilt nur dort, wo der Grundrechtsgebrauch sich zu einer aktiv aggressiv-kämpferischen Haltung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verhärtet. Diesseits dieser Grenze verlangt das Grundgesetz neben der allgemeinen Rechtstreue daher auch keine Verfassungstreue der Religion im Sinn einer Bejahung der Verfassungswerte.‘(2) Verzichtet die grund- und menschenrechtswidrige religiöse Subkultur folglich aufgrund aktueller Kräfteverhältnisse zunächst auf eine aggressive Attitüde und begnügt sich bis auf Weiteres mit dem Auf- und Ausbau antisäkularer und antiemanzipatorischer Gegenmilieus, dann ist das gemäß dieser rechtsdogmatischen Auffassungslinie völlig in Ordnung, muss akzeptiert, widerstandslos hingenommen und rechtlich beschützt werden.“

Siehe auch: Islam, Grundgesetz und streng gläubige Muslime: „Ihr braucht nicht verfassungstreu sein“

Zur Kritik der mechanistischen Trennung von Glaubensüberzeugung und Glaubensausübung in Anwendung auf den Islam

http://www.gam-online.de/text-Islam.Grundgesetz.html

 
 

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