Islam-Experte Hans-Peter Raddatz fordert einen ehrlichen Dialog über die Schattenseiten des Islam

17. 11. 2005

DIE WELT: „Sie erleben Todes-Drohungen via Internet und sind nun unter Polizeischutz. Wie wirkt sich dies auf Ihr Leben aus?

Hans-Peter Raddatz: Die Schutzmaßnahmen greifen recht nachdrücklich in meinen täglichen Ablauf ein, beweisen damit allerdings, daß unser Staat zumindest in dieser Hinsicht noch intakt ist.

DIE WELT: Haben Sie die Bedrohung wie Kritiker sagen, „provoziert“?

Raddatz: Wer von „Provokation“ spricht, macht lediglich deutlich, daß er die Anstiftung zum Mord für legitim hält und sie vielleicht sogar noch unter Religionsfreiheit stellen möchte.

DIE WELT: Sie sind Orientalist, aber auch Unternehmer mit Erfahrungen in der arabischen Welt. Als solcher neigt man gemeinhin zum pragmatischen Blick, es geht schließlich um Geschäfte. Was ließ Sie zum Missionar werden?

Raddatz: Gerade weil ich gehalten bin, ergebnisorientiert zu denken, tauge ich nicht zum Missionar. Im übrigen müssen geschäftliche Interessen dort ihre Grenzen haben, wo sie Grundrechte und Menschenwürde infrage stellen. Das fällt natürlich umso schwerer, je mehr Geld im Spiel ist.

DIE WELT: Wie kommen Sie zu Ihrem pessimistischen Bild des Islam?

Raddatz: Meine Islamanalysen haben weniger mit „Pessimismus“, sondern mit Realismus zu tun. Es ist schlicht Tatsache, daß über die letzten drei Jahrzehnte ein Marsch des radikalen Islam stattgefunden hat. Wer sich die Mühe macht, einen Blick in die islamischen Medien zu werfen, kann ein ganz erhebliches Aggressionspotential gegen den Westen feststellen, ganz zu schweigen von dem unglaublichen Judenhaß.

DIE WELT: Gibt es „den Islam“ überhaupt?

Hans-Peter Raddatz: Insoweit, als sein Rechtssystem, die bekannte Scharia, jede andere Rechtsordnung ablehnen und langfristig überwinden muß. Wir fördern geradezu die eigene Rechtsauflösung, indem wir den orthodoxen Islamisten bei uns und nicht der liberalen muslimischen Mehrheit die politische und kulturelle Bühne öffnen.

DIE WELT: Was ist der Islam also genau, eine Religion, eine Ideologie, eine Kulturströmung?

Raddatz: Eine politische Religion, die in ihrer Geschichte viele Kulturen überwunden hat. Alle Kulturen haben nach wie vor weltweit Probleme mit „dem Islam“, was auch unser multikulturelles Weltbild auf den Prüfstand stellt. Dennoch muß sein spiritueller Teil durch unsere Religionsfreiheit geschützt werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir dem politisch-rechtlichen Teil, der sich gegen unsere Grundordnung wendet, eben diesen grundrechtlichen Schutz verweigern.

DIE WELT: Was sind Ihre zentralen Kritikpunkte?

Raddatz: Daß unsere Verantwortlichen in einer Art Endlosschleife vorgetäuschter Harmonie kreisen , ohne die eigentlichen Probleme anzufassen, nämlich die grundsätzliche Ablehnung des Rechtsstaats und die Gewalt gegen Frauen und die sogenannten „Abtrünnigen“, also solche Muslime, die ihre Religion frei leben wollen.

DIE WELT: Wo verläuft die Grenze zwischen Religion und Ideologie?

Raddatz: Die Grenze verläuft dort, wo die Religion politische Funktionen übernehmen und Grundrechte außer Kraft setzen will. Die Verfassung wird gebeugt, solange die grundrechtswidrigen Teile der Scharia den Schutz der Religionsfreiheit genießen. Ich plädiere daher für eine „Lex Islam“, d.h. eine Überprüfung der Vereinbarkeit des politischen Islam mit Art. 4 Grundgesetz.

Es gibt weiterhin Fehlentwicklungen wie z.B. übergroße Moscheen, die provokante Eroberernamen tragen, dubiose „Kulturzentren“ enthalten und den grundrechtswidrigen Muezzinruf aussenden. In die gleiche Kategorie gehört nicht zuletzt die Frage der zwanghaften weiblichen Verhüllung. Viele Menschen fragen sich z.B. auch, warum man aus den 365 Tagen des Jahres für den „Tag der offenen Moschee“ den 3. Oktober gewählt hat, einen der ganz wenigen säkularen Feiertage des Landes.

DIE WELT: Wenn der Westen bisher zu blauäugig und naiv war gegenüber anti-freiheitlichen und anti-rechtsstaatlichen Tendenzen im Islam, was wäre dann der richtige Dialog?

Raddatz: Dialog ist eine Grundtugend Europas und schlicht unverzichtbar. In bezug auf den Islam müssen wir ihn jedoch vom Kopf auf die Füße stellen, d.h. die Diskussion nicht minderheits-, sondern mehrheitsbezogen führen. Damit kommen wir auf den zentralen Punkt zurück, nämlich die bereits begonnene Rechtsspaltung in unserem Staat. Die wird sich dynamisch verstärken, wenn nicht der politische Wille besteht, den Zuwanderern ein rechtsstaatliches Regelwerk „zuzumuten“. Ohne Freiheit der Religion und Gleichberechtigung der Frau sowie vor allem ohne den Verzicht auf islamische Selbstjustiz werden wir in Deutschland enorme Probleme bekommen.

DIE WELT: Wer könnte diesen Dialog von deutscher und moslemischer Seite aus führen?

Raddatz: Ein konstruktiver Ansatz wird bereits von muslimischen Frauenrechtlerinnen und Autorinnen geliefert. Ebenso muß man in Gesprächen mit liberalen Muslimen in den städtischen Wohnbereichen immer wieder feststellen, daß sie von den lokalen Kommunalpolitikern regelmäßig allein gelassen werden. Gerade im globalen Zeitalter erfordert die Bewahrung einer freiheitlichen Demokratie ein besonderes Maß an politischer Loyalität und Sachkompetenz-

DIE WELT: Glauben Sie wirklich an diesen Dialog?

Wenn ich den nicht wollte, hätte ich mich nicht dem großen Arbeitsaufwand für meine Bücher unterzogen. Weil mit den Floskeln vom Islam als friedlicher und problemloser Religion nur erreicht wurde, daß sich in den Ballungsräumen Europas wachsende, rechtsfreie Zonen mit kaum noch überschaubaren Konfliktherden gebildet haben, wie Frankreich gerade zeigte.

Ich will, daß endlich eine kompetente Diskussion in Gang kommt, die sich an dieser Wirklichkeit orientiert.“

Hans-Peter Raddatz ist Orientalist, Volkswirt und Systemtheoretiker, Zuletzt erschienen: „Allahs Frauen“

Die Fragen stellten Andrea Seibel und Guido Heinen.

http://www.welt.de/print-welt/article181236/Ich-bin-nicht-Pessimist-sondern-Realist.html

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