„Das Geld aus Europa ist kein schmutziger Deal“

Gerald Knaus vom Thinktank ESI hat die Blaupause für Merkels Asylpolitik erarbeitet: enge Kooperation mit der Türkei und Flüchtlingskontingente. Jetzt erklärt er, was beim EU-Gipfel passieren muss.

Von ,    –   16.03.16

(…) „Die Welt: Es heißt immer: Erst muss die illegale Migration über die Ägäis gestoppt werden. Dann ist eine Verteilung von Flüchtlingskontingenten aus der Türkei nach Europa möglich. Sehen Sie das auch so?

Knaus: Auf dem Meer kann man keine Zäune bauen. Es ist auch eine Illusion, wenn wir annehmen, dass die Türkei in der Lage wäre, ihre sehr lange Küste so zu schützen, dass keine Schlepperboote mehr losfahren können. Auf dieser Grundlage haben wir im vergangenen Spätsommer unseren Plan entwickelt, der mittlerweile von der Kanzlerin in weiten Teilen übernommen wurde.

Den Flüchtlingen muss klar sein: Die gefährliche Überfahrt lohnt sich nicht, weil Griechenland nach einem beschleunigten Verfahren wieder zurückschickt. Die einzige Chance für eine Zukunft in Europa ist die Bewerbung für einen Platz im Kontingent, das aus der Türkei von Europa abgenommen wird. So könnte die Zahl der Flüchtlinge in der Ägäis schnell und drastisch zurückgehen.

Die Welt: Das klingt allzu simpel.

Knaus: Das Tragische ist, dass wir wichtige Zeit verloren haben. Schon im Oktober hat Merkel Grundzüge ihres Plans in der Fernsehsendung „Anne Will“ vorgestellt. Im November haben Gabriel und Steinmeier von der Aufnahme von großen Kontingenten gesprochen. Deutschland hat vieles früh erkannt. Man hat aber den Fehler gemacht, sich bei der Umsetzung zu sehr auf die Kommission zu verlassen. Deutschland hätte es früher in die eigene Hand nehmen müssen.

Die Welt: Welche Vorteile hätte das gehabt?

Knaus: Eine schnelle Kontingentlösung hätte dazu geführt, dass man viel genauer weiß, wer nach Europa kommt. Außerdem wäre die Zahl der Migranten insgesamt wohl wesentlich kleiner gewesen, weil bei dieser Variante ja nur Bürgerkriegsflüchtlinge weiterreisen dürfen. Dadurch wäre auch die Frage hinfällig, was wir mit all denen machen, die keinen Schutzstatus erhalten.

Die Welt: Sie plädieren für eine genaue Auswahl?

Knaus: Ja. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen ist essenziell. Hätten wir früher mit einer Kontingentlösung gestartet, wäre die Akzeptanz dafür in Europa viel größer als heute. Ich denke, dass auch Schweden und Österreich auf unserer Seite gewesen wären. Leider geriet der Prozess im vergangenen Jahr aber außer Kontrolle. Wir hatten keine Ahnung, wer in unser Land kommt. Das hat Ängste befeuert.

Die Welt: Das ist die Theorie. In der Realität wäre ein deutscher Politiker aber doch auf große Empörung gestoßen, wenn er im vergangenen Sommer offen ausgesprochen hätte: Wir nehmen jetzt 500.000 Asylsuchende auf. Insgeheim haben doch alle gehofft, dass es so viele niemals sein werden.

Knaus: Für einen Thinktank ist es natürlich sehr viel leichter, eine Zahl hinzuschreiben. Wir haben den Politikern daher auch in den vergangenen Monaten empfohlen: Nennt keine Gesamtzahl für Kontingente aus der Türkei! Sprecht lieber von einem täglichen Kontingent von ein paar Hundert Personen. Unser Vorschlag ist ja mit der Berliner Luftbrücke vergleichbar: Er ist sinnvoll. Aber ein Ende ist zunächst nicht absehbar.“ (…) (Fett: GB)

http://www.welt.de/politik/deutschland/article153370532/Das-Geld-aus-Europa-ist-kein-schmutziger-Deal.html

Kommentar GB:

Das Interview ist insgesamt sehr lesenswert.

Ich habe die m. E. prinzipiell besonders wichtige Passage kursiv dargestellt. –

Zu fragen ist, wer eigentlich hinter diesem „gemeinnützigen Verein“ steckt, auf den seltsamerweise die deutsche Regierung hört. Denn das macht sie mit Sicherheit nicht, ohne daß es dafür aus ihrer Sicht triftige Gründe gibt.

 

 

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