Varoufakis-Interview

„Europa hat beschlossen, uns zu erpressen“

„Finanzminister Giannis Varoufakis hat dafür gekämpft, dass die Griechen beim Referendum mit „Nein“ stimmen. Im Interview spricht er über die Achterbahnfahrt seiner Amtszeit, sein Verhältnis zu Wolfgang Schäuble und die Frage, wie es am Montag weitergeht.“

05.07.2015, von Michael Martens
„Wer alles liest, was ich geschrieben habe über die Krise, von 2008 bis heute, wird auf eine exakte und konsequente Kritik daran stoßen, wie der Westen sich dem großen finanziellen Desaster von 2008 genähert hat. Ich habe einen linken Hintergrund, in Ordnung – aber das enthusiastischste Publikum meiner Kritik nach 2008 waren nicht Linke, sondern Leute, die man libertäre Rechte nennen könnte. Ich habe kritisiert, dass riesige Bankenschulden auf Steuerzahler übertragen wurden, ohne ihnen zu sagen, was da geschieht. Das war meine Linie 2008, und ich bin dabei geblieben. Meine Kritik richtet sich gegen eine Politik des „Verlängerns und Vortäuschens“ („extending and pretending“) auf nationalem Niveau. Diese Politik war von 2008 bis 2010 auf Banken reduziert, aber 2010 hatten wir dann den ersten Fall der Insolvenz eines Staates, der genauso behandelt wurde. Geld der Steuerzahler wurde eingesetzt, aus Deutschland, der Slowakei und so weiter, und es wurde so getan, als sei es eine Liquiditätskrise, während es tatsächlich eine Krise der Zahlungsunfähigkeit war. Meine Kritik am griechischen Bailout war, dass er gegenüber deutschen, slowakischen oder griechischen Steuerzahlern unfair war, weil ihnen nie gesagt wurde, dass es kein Bailout Griechenlands war, sondern lediglich der Banken, während vorgegeben wurde, es handele sich um eine Art Solidarität. Das hat dann die Griechen gegen die Deutschen und die Deutschen gegen die Griechen aufgebracht. Meine Antwort auf die Frage nach der Improvisation lautet also: Wir halten ein Referendum ab, weil der Vorschlag der Institutionen vom 25. Juni ein anderer Fall von Verlängern und Vortäuschen war. Ich wurde aufgefordert, mehr Geld aus den Bailoutfonds anzunehmen, 7,2 Milliarden Euro und dann nochmals 6,7 Milliarden vom EFSF, um so zu tun, als ob wir dadurch dieses Problem lösen würden, was aber nicht der Fall ist. Wir werfen nur gutes Geld schlechtem hinterher, ohne irgendetwas zu lösen.“  (Hervorhebungen: GB)
http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/varoufakis-interview-europa-hat-beschlossen-uns-zu-erpressen-13684849.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
und ein Kommentar von Dr. Wolfgang Lieb:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=26672#more-26672
von Sebastian Müller
http://le-bohemien.net/2015/07/06/referendum-die-wiege-der-demokratie/
und von Ferdinand Knauß:
http://www.wiwo.de/politik/europa/griechenland-krise-wie-europa-aus-schaden-vielleicht-klueger-wird/11993804.html
ferner
http://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/neue-verhandlungen-oder-failed-state/
und
http://www.deutschlandfunk.de/griechenland-austeritaetspolitik-ist-gescheitert.694.de.html?dram:article_id=324851
Kommentar GB:
Giannis Varoufakis bringt den Sachverhalt hier präzise auf den Punkt. Genau so ist es.
Aber auch dieser satirische Beitrag trifft es:
https://frankfurter-erklaerung.de/2015/07/volksbefragung-eu-entsetzt-ueber-neuartige-entscheidungsmethode-aus-griechenland/
Der Kern des Skandals wird durch diesen seinen Satz benannt:
„Ich habe kritisiert, dass riesige Bankenschulden auf Steuerzahler übertragen wurden, ohne ihnen zu sagen, was da geschieht.“

Hierzu hören wir aus dem Munde unserer Politiker tatsächlich nichts. –
Insolvenzverschleppung durch Kreditprolongation nützt aber gar nichts, außer wenn man darauf abgesehen hat, den Schuldner sozusagen durch den Gerichtsvollzieher (die „Troika“) auszupressen – hier speziell die breite Bevölkerung –  und das Land auszuschlachten, indem die Filetstücke  versteigert werden („Privatisierung“). Und das kann man dann, weil sich durch die so bewirkte Wirtschaftsschrumpfung die Verschuldung noch vergrößert, von Fälligkeitstermin zu Fälligkeitstermin wiederholen; jedenfalls solange, wie noch etwas zu holen ist. Für den jeweiligen Schuldner ist dies ein Weg in die schrittweise Enteignung, in die Verarmung und in den vollständigen Ruin.
[   http://eussner.blogspot.de/   ]
Und genau darum ging bei dem griechischen Referendum. Soll diesem Weg zugestimmt werden? Oder nicht?
Übrigens war Deutschland einmal in einer ähnlichen Lage, nachdem – gegen den damaligen Rat von John Maynard Keynes – nach dem Ende des Ersten Weltkrieges der Versailler Vertrag Geltung erlangte. Der grundlegende Fehler lag und liegt darin, das Problem juristisch zu beurteilen und nicht ökonomisch. Denn juristische Ansprüche („Schadensersatz“, „Schulden müssen zurück gezahlt werden“) können objektiv nur in einem kreislaufökonomischen Rahmen durchgesetzt werden. Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten dominieren daher objektiv die juristischen und politischen Ansprüche, und letztere sind es, die sich zu fügen haben. Anders geht es nicht. Aber wird das verstanden?
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-und-deutschland-kampf-der-ideologien-a-1042057.html
Nicht von dem Juristen Schäuble. Er ist daher zentraler Teil des Problems. Und diese Einschätzung gilt nicht nur für ihn.
Die Probleme in Fällen dieser Art können überhaupt nur durch ökonomisches Wachstum gelöst werden. Dieses muß ermöglicht werden.
Das Beispiel hierfür hat nach dem Zweiten Weltkrieg hier in Deutschland der Marshallplan geboten.
Die theoretisch falsche und praktisch widerlegte Austeritätspolitik blockiert hingegen den Einstieg in einen Wachstumspfad.
Man lese hierzu:
http://www.chbeck.de/Pressler-erste-Weltwirtschaftskrise/productview.aspx?product=11431199
Ferner: Dr. habil. Wulf Krause schreibt: Ich empfehle sehr:
Yanis Varoufakis, Stuart Holland, James K. Galbraith,
„Bescheidener Vorschlag zu Lösung der Eurokrise, Kunstmann, München 2015.

Und hierzu ein Artikel:
http://le-bohemien.net/2013/02/06/wie-europa-aus-der-krise-kommt/
 
 
 
 
 
 

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