Fehler im System mancher Wissenschaften

Von Alexander Durin – Auszüge

„Alan Sokal, Wissenschaft und Cargo-Cult-Science

1996 veröffentlichte der Quantenphysiker Alan Sokal einen Artikel in einer Zeitschrift für postmoderne Philosophie und löste eine heftige Kontroverse über Sozialwissenschaften aus. Im Juli 2013 ließ er wieder von sich hören. Als Mitautor veröffentlichte er im renommierten American Psychologist die Widerlegung eines in der Positiven Psychologie viel beachteten Artikels. Der Artikel wurde daraufhin teilweise zurückgezogen. Eigentlich ein üblicher Vorgang im Wissenschaftsbetrieb.

Was zunächst wie ein üblicher Vorgang im Wissenschaftsbetrieb aus sieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Fehler im System. Allerdings nicht im System der Wissenschaft an sich. Vielmehr zeigt der Vorgang, dass das, was sich Wissenschaft nennt, nicht immer Wissenschaft ist. Gemeint sind damit nicht einzelne Publikationen, sondern ganze Fachrichtungen. Was Alan Sokal, Wissenschaft und die Ureinwohner Polynesiens verbindet erzählt dieser Beitrag in Form einer Geschichte. Eine Geschichte, in der sogar Differentialgleichungen auftauchen. Es braucht jedoch nicht mathematischer Kenntnisse, um der Geschichte folgen zu können. Ein wenig Chuzpe wie die Frage, wozu Gott ein Raumschiff braucht, genügt. Wissenschaft kocht auch nur mit Wasser. Aber nicht jeder, der Wasser kocht, ist auch gleich ein Wissenschaftler.“  –

„Die Sokal-Affäre

Die eigentliche Geschichte nimmt ihren Ursprung im Jahre 1996. In jenem Jahr reichte der Quantenphysiker Alan Sokal einen Artikel in der beachteten Fachzeitschrift für die Philosophie der Postmoderne Social Text ein. Der Artikel wurde angenommen und unter dem Titel Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity veröffentlicht. Der Artikel hatte es in sich. Sokal legte nicht weniger dar, als dass Erkenntnisse aus Quantenphysik, Relativitätstheorie und Mathematik die Ansichten der postmodernen Philosophie stützen. Eigentlich sensationell, wurde hier doch eine fundierte Brücke zwischen den „harten“ und den „weichen“ Wissenschaften geschlagen. Als ob sich ein lange offen währender Kreis schließt.

Zu der sozial-naturwissenschaftlichen Revolution kam es jedoch nicht. Denn wenige Wochen später ließ Alan Sokal die Bombe platzen. Er gab bekannt, dass sein Artikel lediglich eine Parodie auf die Philosophie der Postmoderne war und völligen Nonsens beinhaltete (Ende der Wissenschaft?).

Denn Sokal imitierte in seinem „Scherz-Artikel“ hoch gelobte Beiträge namhafter Philosophen der Postmoderne, indem er von obskurem Fachjargon überladene Versatzstücke postmoderner Philosophen sinnlos zusammenstückelte. Es wurden für die menschliche Erkenntnis weit reichende Behauptungen aufgestellt, die entweder nicht, durch zirkuläre Begründungen[1] oder durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse[2] belegt wurden. Letzteres gilt als interdisziplinäre Vorgehensweise.

Wie jene Philosophen belegte Sokal seine Behauptungen nach dem Paradigma interdisziplinärer Vorgehensweise. Die Relativitätstheorie besagt, dass jede Beobachtung nur vom Beobachter abhängt und Erkenntnis nur relativ und nicht absolut sei. Die Heisenbergsche Unschärferelation macht eh jede menschliche Erkenntnis unscharf und die Quantenphysik zeigt, dass klar definierte Zustände wie „Wahr“ und „Unwahr“ gar nicht existieren.[3] Gewürzt hatte er seinen Artikel mit der Behauptung, dass neueste physikalische Erkenntnisse darauf hinweisen, dass morphogenetische Felder mit der Quantengravitation eng verknüpft seien.

Sokal demonstrierte, dass es in der postmodernen Philosophie möglich war, völligen Unfug zu publizieren, sofern Artikel durch unverständlichen Fachjargon Aussagen vernebelt werden, nichts aussagen und der Unfug sich in ein wissenschaftliches Gewand kleidete und Wissenschaftlichkeit so lediglich imitierte. Vielleicht in Folge seines Artikels wurde der Postmodern Text Generator entworfen. Ein Programm, das sinnlose aber intellektuell scheinende Texte der Postmodernen Philosophie, gemischt mit feministischen Versatzstücken, generiert.

Nach der Offenbarung von Sokal entbrannte eine heftige Kontroverse. Angegriffen wurde er weniger von Postmodernisten, sondern von Sozial- und Geisteswissenschaftlern, die nicht Adressaten seines Artikels waren. Sie fühlten sich in ihrer Substanz heftig angegriffen. Sie warfen Sokal hauptsächlich vor, dass die „harten“ Wissenschaften die Deutungshoheit über die Realität und das Sein an sich reißen, alternative Vorstellungen ausblenden – Stichwort: Pluralität[4] – und so Macht ausüben[5] -Stichwort: Gender Studies – würden.[6] Dies ging in der Wissenschaftsgeschichte als die Sokal-Affäre ein.“

„Richard Feynman hatte einen einfachen Erfahrungssatz geprägt. Wissenschaft erkennt man daran, dass etwas dabei herauskommt. Das müssen keine bahnbrechenden Erfindungen sein, das kann auch Wissen in Form eines Gedankengerüsts aus Theorien sein, anhand dessen sich neue, vielleicht auch zunächst nutzlose[20], Erkenntnisse bilden können. Davon ist aber die Psychologie nach mehr als hundert Jahren noch weit entfernt. Es sind nicht einmal Ansätze erkennbar. Eine Zunft, die sich in den Mantel der Wissenschaft kleidet und sie imitiert, aber keine ist.

Das Thema ist auch ein gesamtgesellschaftliches. Es stellt sich die Frage, ob eine der Aufklärung und Vernunft verschriebene Gesellschaft tatsächlich diesen Werten gerecht wird, wenn sich an ihren Universitäten Zünfte tummeln, die wie im Fall der Postmodernen Philosophie oder des Genderismus nur heiße Luft produzieren oder im Fall der Positiven Psychologie in weiten Teilen nur Wissenschaft mimikrieren. Eine zukunftsfähige Gesellschaft könnte eine solche Arbeitsplatzbeschaffungs- und Selbstverwirklichungsmaßnahme für Menschen, die gerne Wissenschaftler wären, es aber nicht ganz schaffen (Gleichstellung), finanzieren. Problematisch wird es aber, wenn solche als Wissenschaft getarnten Ideologien unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu gravierenden gesellschaftlichen und politischen Handlungen führen.“  Hervorhebungen: GB  –   Weiterlesen:

http://www.heise.de/tp/artikel/41/41100/1.html

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