Kurze Anmerkung zur politisch-ideologischen Pathologie des europäischen Niedergangskapitalismus

27.05.2024

Hartmut Krauss

Kurze Anmerkung zur politisch-ideologischen Pathologie des europäischen Niedergangskapitalismus

Neben dem multimorbiden Zustand der allseitig heterogenen EU ist Folgendes zu beachten:

Eine strukturelle politische Pathologie der heutigen europäisch-kapitalistischen Gesellschaften besteht darin, dass dem herrschenden transnational-globalkapitalistisch ausgerichteten Block mit seinen etablierten „Systemparteien“ nach dem Tod der klassischen politischen Linken (seit 1989 findet eine zunehmende Verdrängung der identitätsbildenden Einheit von Herrschafts-, Religions- und Kapitalismusmuskritik/Radikalaufklärung plus Marxismus statt) zumeist nur noch eine rechtsgerichtete Oppositionspartei gegenübersteht, die sich vordergründig Islam- und Migrationskritik als gewissermaßen geschenktes „Monopol“ auf die Fahnen schreiben kann und deshalb relativ große Teile der „heimatlos“ gewordenen Unzufriedenen einigermaßen bequem einzusammeln vermag. Darüber hinaus trägt die ideologische Einverleibung der aufklärungsfeindlich-postmodernen Woke-Linken in die globalkapitalistische Herrschaftsstrategie zum Aufstieg der Rechten bei; was wiederum zusätzlich den altrechten Affekt gegen alles Linke triggert und modifiziert: Schuld an allem war früher der „jüdisch-marxistische Bolschewismus“ und sei heute der „Kulturmarxismus“ etc.)

So konnte es schließlich dazu gekommen, dass z.B. im Rahmen der deutschen Postdemokratie das medial befestigte Narrativ „Islam- und Migrationskritik=AfD=rechts“ zu einem unhinterfragten und mobilisierbaren Ressentiment wurde. (Tatsächlich aber ist/wäre die Kritik der islamischen Herrschaftskultur im Grunde objektiv ein theoretisch-praktisch herausragender Erkenntnis- und Problemgestand par excellence für die klassische „aufklärungsmarxistische“ Linke (gewesen). Siehe dazu meine diesbezüglichen Veröffentlichungen.)

Dass der herrschende Block und seine „Systemparteien“ mit Hilfe der Medien und seiner instrumentellen Staatsapparate (Justiz; Verfassungsschutz etc.) unter diesen Bedingungen nun insbesondere die AfD möglichst klein halten und darüber die Masse der Unzufriedenen mit dem zuvor genannten Narrativ domestizieren will, liegt auf der Hand und ist eigentlich eine Binsenweisheit. Andererseits ist es dann aber doch überraschend, wie sehr sich die AfD mit ihrer unsäglich negativen/blamablen Personalpolitik immer wieder selbst beschädigt und den „politischen Gegnern“ eine propagandistische Steilvorlage nach der anderen liefert. Kurzum: Die immer wieder ohne Not fabrizierten „salonfaschistischen“ Ausfälle und NS-Relativierungen von AfD-Funktionären gehen selbst den rechtspopulistischen EU-Schwesterparteien zu weit.

(https://www.wiwo.de/politik/europa/fall-maximilian-krah-afd-wird-aus-fraktion-im-europaparlament-ausgeschlossen/29812038.html; https://de.nachrichten.yahoo.com/afd-europa-abgeordnete-sylvia-limmer-115637924.html)

Wie es eine CDU-, SPD- und Grüne-Wagenburg gibt (für die Selbstkritik im Kern „tödlich“ wäre), so gibt es selbstverständlich auch eine AfD-Wagenburg, für die nun alle Fehltritte der eigenen Leute nur eine „Verschwörung“ der Herrschenden sein sollen).

Wie wir bereits festgestellt haben, hat sich in diesem Kontext nach und nach eine durch und durch geisteskranke Konstellation des öffentlichen Diskurses herausgebildet: So steht im Zentrum der perfiden Verleumdungsstrategie der „Freunde des Islam“ die Behauptung, Kritik am Islam sei „rechts“. Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt: Die Verteidiger der extrem reaktionären und repressiven, autoritären, irrationalen und menschenrechtsfeindlichen Weltanschauung des Islam agieren als „bunt” und „weltoffen“ verkleidete Komplizen einer extrem „rechten” und totalitären Herrschaftskultur. Sie sind die wahren Verräter der kulturellen Moderne. Sie sind diejenigen, die die Werte und Prinzipien der Aufklärung mit Füßen treten. Sie sind es, die mit ihrer Tür- und Toröffnung für eine militant antiaufklärerische und rückschrittliche Einstellungs- und Lebensweise orientalisch-islamischer Machart die Zerstörung der europäischen säkularen Gesellschafts- und Lebensordnung vorantreiben. Auf der anderen Seite popagieren jung- und altkonservative, nationalistische, ethnopluralistische und christlich-fundamentalistische Islamgegner ein pauschal antilinkes Hassbild, in dem die Einverleibung der pseudolinken Ideologie in die Strategie der neoliberal-globalkapitalistischen Herrschaftsträger komplett ausgeblendet bleibt und insofern antiaufklärerisch und systemstabilisierend wirkt. D.h.: Sowohl Pseudolinke als auch prokapitalistische „Rechtspopulisten“ sind objektiv und auf gegensätzliche Art ideologische Lakaien der herrschenden Kräfte.

Vor diesem Hintergrund ist das Fehlen einer einflussreichen und angemessen aufgebauten „dritten Kraft“, die emanzipatorisch-humanistische Islam- und Migrationskritik mit aktualisierter Kapitalismuskritik verbindet und sich klar von alt- und neurechten Positionen und Ideologien abgrenzt, als das eigentliche theoretische und praktische (strategische) Kernproblem angesichts der vielfältigen nationalen und internationalen Krisenentwicklung zu begreifen.

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