Navid Kermani. Bernd Radtke: Über wissenschaftliche Redlichkeit

Dr. Gudrun Eussner

6. Dezember 2019

Navid Kermani. Bernd Radtke: Über wissenschaftliche Redlichkeit

Dokumentation vom 20. Mai 2009 [aus gegebenem Anlaß]

Wenn Bücher und Themen islamischer, orientalischer und orientalistischer Literatur einem breiteren Publikum nahe gebracht werden, dann ist das vorbehaltlos zu begrüssen.Ein mögliches Urteil darüber wird sich, wenn überhaupt nötig und sachdienlich, auf das wie, nicht jedoch auf das dass beziehen müssen.
Hellmut Ritters Meer der Seele darf durchaus als epochales Werk deutschsprachiger orientalistischer Literatur des 20. Jh.s bezeichnet werden.Merkwürdig quer dazu steht die geringe Rezeption des Buches, selbst im deutschen Sprachraum, ganz abgesehen vom ausserdeutschen. Die vor einigen Jahren erschienene englische Übersetzung3 mag hierin etwas Abhilfe schaffen.4
1 Das gilt selbstverständlich auch für die Veröffentlichungen Annemarie Schimmels! Zu anderen Aspekten ihres Wirkens siehe Verf.: “Von des Chisers Händeln und schmutzigen Tricks”, Der Islam 81 (2001), 96-114, und id.: Neue kritische Gänge. Zu Stand und Aufgaben der
Sufikforschung (Utrecht 2005), 1. Kapitel (im folgenden: NkG).
2 Dazu Lawrence Conrad, Der Islam 82 (2005), 373 (Besprechung von The Ocean of the Soul).
3 Hellmut Ritter, The Ocean of the Soul. Translated by John O’Kane, with Editorial Assistance of Bernd Radtke. Leiden 2003
4 Dazu auch Conrad, a.a.o. 375.
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Daher ist das jüngst veröffentlichte Buch von Navid Kermani, Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte warm zu begrüssen.5 Es wird im folgenden als Schrecken zitiert. Schon der Titel, der den persischen Dichter ‚Attar und den biblischen Hiob nennt, macht es für den Leser von Meer der Seele deutlich, dass es darin um eines der Themen von Meer der Seele gehen wird, nämlich um das hadern mit Gott, weiter die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, um die Theodizee.
So ist es in der Tat. Kermani (im folgenden K.) gliedert seine Arbeit in fünf Kapitel (s. Inhaltsverzeichnis 7-8): 1. Hiobs Frage (10-50); 2. Das Buch des Leidens (52-103): 3. Rechtfertigung und Schrecken Gottes (106-148); 4. Der Aufstand gegen Gott (150-217); 5. Geschichte einer Gegen-Theologie (220-282); dann ein Anhang mit Anmerkungen, Bibliografie, Indices etc.
Wir wollen uns vornehmlich auf ‚Attar konzentrieren. Als Textgrundlage dient K. das Mußibat-nama ‚Attars. Er nennt es Buch der Leiden, Ritter hatte im Meer der Seele (im folgenden Meer) den Titel mit Buch der Plage wiedergegeben (Meer 2),
5 München 2005. — Besprechungen in deutschen, nichtwissenschaftlichen, Media, sind geradezu überschwenglich. Dazu gehören: Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Herder Korrespondenz, Deutschlandfunk, Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel, Literaturen, Chrismon, Kölner Illustrierte. Ich verdanke den Hinweis auf diese Publikationen Hans de Bruijn (Leiden).
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was mir besser zu sein scheint. Eine Inhaltsangabe gibt Ritter in Meer 18-30. Die anderen Epen Fariduddin ‚Attars werden von K. nur sporadisch erwähnt.
Zuerst muss ich zugeben, dass mich nicht so sehr der Inhalt des Buches interessiert hat, sondern die Arbeitsweise K.s. Um zu sehen, wie sich sein Buch zum Meer der Seele stellt, habe ich vor allem die Übersetzungen, die K. aus dem Mußibat-nama bringt, betrachtet. Ich gliederte die Untersuchung in:
(a) Angabe der Stelle bei K. und im Mußibat-nama. Er zitiert, wie Ritter (im folgenden R.), Kapitel und Unterkapitel, also X/X, fügt jedoch die Seitenzahl hinzu, die sich auf die Edition von N. Fisal, Teheran 1338/1959, bezieht. (b) Der persische Text in Umschrift. (c) K.s Übersetzung. (d) Wenn vorhanden, Ritters Übersetzung. (e) Gegebenenfalls meine Übersetzung. (f) Wenn nötig, ein Kommentar zu den Übersetzungen oder zu Inhaltlichem.6
Das Ergebnis meiner Untersuchung lautet: Fast das gesamte Material aus dem Mußibat-nama und anderer Literatur, das K. für seine Darstellung verwendet, findet sich in Ritters Meer der Seele. Das wird jedoch in keinem Fall angegeben. K.s Übersetzungen folgen fast immer dem Ritterschen Wortlaut, manchmal gibt es sogar wörtliche Entsprechungen. K. bringt zudem fast gar nichts, was über die Texte von Meer der Seele hinausgeht. Zugegeben: K. hatte die persischen Texte selbst vor Augen, denn er zitiert zumeist korrekt die Seitenzahlen der
6 Eine ausführliche Darstellung wird man in der ZDMG finden.
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neueren Textedition, die Ritter noch nicht benutzen konnte. Ich möchte vermuten, dass K. sich am Text Ritters orientiert und dann die Stellen im Mußibat-nama aufgesucht hat. Ritters Zitierweise macht das zu einem Kinderspiel, wie ich selbst feststellen konnte. — Auch alle andere arabische und persische Literatur wird aufgrund von Sekundärliteratur zitiert, suggeriert wird jedoch die Lektüre der Quellen selbst.
Übersetzt K. Texte aus dem Mußibat-nama, die sich nicht im Meer der Seele finden, bzw. von mir darin nicht gefunden werden konnten, so ist die Übersetzung fast immer ungeschickt, oft fraglich, an vielen Stellen auch unrichtig.
Das Urteil über diese Arbeitsweise sei dem Leser überlassen!
Wir wollen einige Einzelheiten des Inhalts kommentieren. S. 30 Im arabischen Original lautet der berühmte Satz Ghazzalıs:Laysa fi ‚l-imkan abda‘ mimma kan: [„Nothing possible is more wondrous than what is.“]; übersetzt bei Ormsby, Theodicy 397 und Gramlich, Stufen8 549 f./E 73.
Weder Ormsbys noch Gramlichs Übersetzung werden von K. genannt, obwohl er beide Bücher in seiner Bibliografie anführt. — S. 32 Wie an vielen anderen Stellen ergeht sich K. hier in einem extensiven name-dropping, so treten Stendhal, Nietzsche und Büchner auf wenigen Zeilen auf. Weitere Beispiele: 56 Pascal, Nietzsche, Schopenhauer; 71 Kafka, Pessoa, Adorno,
7 Eric Ormsby, Theodicy in Islamic Thought. Princeton 1984.
8 Richard Gramlich, Muhammad al Ghazzalis Lehre von den Stufen der Gottesliebe. Wiesbaden 1983.
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Benjamin, Horkheimer, Hedayat; 72 Adorno, Mahler, Beethoven, Mohammed; 97 Hesiod, Theognis, Herodot, Euripides, Sokrates, Seneca, Shakespeare, Voltaire, Byron, dazu Altes und Neues Testament, Chayyam, Mafiarri, Ibn Abi d-Dunya; 98 Mohammed, Gryphius, Nietzsche, Schopenhauer, Heine, Hölderlin, Bahnsen,9 Büchner, Cioran, Freud; 109 Epikur, Bayle, Hume, de Sade, Ghazzali, Mafiarri; 114 Maimonides, Hermann Cohen; 115 Augustin, Leibniz, Kant; 122 Schelling, Baudelaire, Schopenhauer, Nietzsche, Zarathustra, Mani; 123 Platon, Plotin, Marcion, Augustin, O. Marquard; 164 f. Mechthild von Magdeburg, Eckhart, Kierkegaard, Kant. — Ist alles das verarbeitet und “verdaut”? fragt man sich etwas erstaunt. — S. 33 Ibn ar-Rawandi, wird von K. Atheist genannt. Das war er nicht, sondern nur, zumindest in den Augen seiner Gegner, ein “Ketzer”. In der Anm. 26 vermisst man einen Hinweis auf van Essens grundlegende Darstellung in ThG10 4, 295 ff., obwohl das Buch in der Bibliografie genannt wird. S. 39 Zu Sana’i gibt es das grundlegende Buch von de Bruijn, Of Piety and Poetry11, zudem war Sana’i kaum “der erste bleibende Lyriker der neugeborenen neupersischen Literatur”. Das war, wenn man solche Bezeichnungen überhaupt verwenden will, Rudaki, der
9 Gest. 1881. Ein heute kaum noch bekannter Anhänger Schopenhauers. Was soll dieser Name hier?
10 Josef van Ess, Theologie und Gesellschaft im 2. und 3Jahrhundert Hidschra. 1-6. Berlin 1991-1997.
11 J.T.P de Bruijn, Of Piety and Poetry. Leiden 1983.
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zweihundert Jahre vor Sana’i lebte (gest. ca. 940). Die Bezeichnung “Sandscharen-Dynastie” ist mir nicht geläufig. Zum Todesdatum Fariduddin ‚Attars vgl. auch Ocean of the Soul 832. Diese englische Übersetzung von Meer, obwohl bereits im Frühjahr 2003 erschienen, ist von K. nicht zur Kenntnis genommen worden. S. 40 Da es Orden im 6./12. Jh. nicht gab, konnte Fariduddin ‚Attar kaum Mitglied eines solchen gewesen sein, K.s Frage ist also unsinnig. Was bedeutet “erleuchtet”? S. 41 Über Abu Safiid gibt es das grundlegende Buch von Fritz Meier12, das K. nicht nennt. Abu Safiid gehört nur beschränkt nach Naysabur. Dazu Meier, Abu Safiid 52 ff.; 422 ff. S. 45 Zu den Übersetzungen der Titel der Epen Fariduddin ‚Attars: Sar al-qalb ist kaum Die Erklärung des Herzens (was soll das sein?), sondern nach dem koranischen sar˛ aß-ßadr (Öffnung der Brust) gebildet. Ilahı-nama ist nicht Das Buch Gottes, das ist bekanntlich der Koran, sondern, wie bei Ritter Gottesbuch. Zur Übersetzung von Mußibat-nama siehe hier ?. K.s Ausführungen zu den Formen der persischen Dichtung sind kaum zutreffend. Weder ist das Ghazal die klassische Form des persischen Gedichts, noch ist dieses durch den Vierzeiler charakterisiert. Zudem stammen die Formen der persischen Dichtung aus dem arabischen. Das gilt auch für das mathnawi. Dazu zuletzt auch Meier, Segenssprechung 1, 143 ff.13 S. 49 Hellmut Ritter ist nicht vor
12 Fritz Meier, Abü Safiid-i Abü l-Khair. Leiden 1976.
13 Fritz Meier, Bemerkungen zur Mohammedverehrung. Teil II: Die tasliya in sufischen Zusammenhängen. Leiden 2005.
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den Nazis geflohen, sondern befand sich schon Jahre vor 1933 in der Türkei.
Ich kann nicht finden, dass, wie K. behauptet, das Mußibat-nama im Meer der Seele “zwangsläufig” untergeht. Das zeigt schon die sehr ausführliche Inhaltsangabe (Meer 18-30). Wenn K. dann weiter schreibt, “Hellmut Ritter hat Attar im Kontext der islamischen Geistesgeschichte vorgestellt. Zu entdecken bleibt, dass Attar nicht nur zwischen Sana’i und Rumi, sondern ausserdem zwischen Sophokles (gest. ca. 404 v. Chr.) und Schopenhauer… steht, verwandt ist mit Abu Ala al-Ma’arri… und Omar Chayyam, aber auch mit Büchner und Beckett”, dann finde ich das, gelinde gesagt, etwas dreist. Um mit Ma’arri zu beginnen: Zum einen führt Ritter Ma’arri durchaus an (u.a. Meer 161 f.), zum anderen übernimmt K. dieses Zitat von Ritter, ohne es anzugeben. Weiter stellte Ritter Fariduddin ‚Attar durchaus in grössere, auch nichtislamische Zusammenhänge, wie dem aufmerksamen Leser nicht entgehen wird.14 Wie schon bei den fehlenden Angaben zu den Zitaten aus dem Meer der Seele wird man auch hier von dem Gefühl beschlichen, dass K. sich auf Kosten Ritters zu profilieren versucht.

  1. 53 salik-i fikrat ist kaum “Wanderer des Denkens”. Ritter (Meer 18) μbersetzt gedanke der meditierenden seele als ein wanderer personifiziert. Ob es sich bei dem mifira¹ Abu

14 Conrad, a.a.o. 374.
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Yazids um Seelenreisen handelte, wäre überhaupt zu fragen.15
Ein prinzipielles Problem sind, wie schon gesagt, K.s Vergleiche, so wird hier Fariduddin ‚Attar mit Pascal verglichen. Es müsste an jedem Beispiel geprüft werden, ob diese Zusammenbringungen sinnvoll sind. Ich habe starke Zweifel. S. 54 K.: “In der „Zunge des Zustandes“ jedoch, in der mystischpoetischen Rede, werde wahr, was in der normalen Rede Lüge sei”. Die Zunge des Zustandes ist die berühmte zaban-i hal, bei Ritter (Meer 21) sprache des zustandes. Was das eigentlich ist, scheint K. nicht deutlich zu sein, wie auch seine Übersetzungen zeigen (hier ?), kaum jedoch ist das mystisch-poetische Rede, was ist zudem eine mystische Rede? S. 59 K.: … “dass die mystische Erfahrung ihrer Natur nach den Kanon religiöser Anschauungen durchbricht, sich sogar gegen diesen Kanon wenden kann…” Die erste Aussage möchte ich entschieden bezweifeln, wofür ich die Schriften zur klassichen Sufik als Zeuge anführen kann; dazu mein “Warum ist der Sufi orthodox”?16 Was ist zudem überhaupt die Natur der mystischen Erfahrung? Auch die Notwendigkeit des Scheichs (pirs) wird in der Sufik differenzierter gesehen als K. angibt; dazu Meier, Hurasan und das Ende der klassischen Sufik”.17
15 Bernd Radtke, “The Ascent to God and the Return from Him in Islamic Mysticism”, Journal of the Ibn al-fiArabi Society (forthcoming).
16 Der Islam 71 (1994), 302-307.
17 Hurasan und das Ende der klassischen Sufik”. Atti del convegno internazionale sul tema: La Persia nel Medioevo
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Das Hallaj zugeschriebene ana l-haqq mit “Ich bin der Wahrhafte” wiederzugeben, scheint mir anfechtbar, haqq ist wahrWahrheit, aber nicht wahrhaftig. S. 63, 64, 65, 66: In “Die älteste islamische Kosmografie” (s. 286 und Anm. 108)18 hatte ich darauf hingewiesen, dass das Strukturgerüst des Mußibat-nama womöglich auf eine Kosmografie zurückgeht, zumindest auf eine Erweiterung des ˛adı± a¸s-¸safðia. Davon bei K. nichts. Literatur zum mi’rad ist gesammelt in Verfasser, Neue kritische Gänge (NkG) 28; 41 f., erschienen im Sommer 2005. Aber schon vor NkG wusste man sehr viel mehr darüber als K. angibt. Wo sind (S. 65) “die vielen Ähnlichkeiten” zwischen der “Göttlichen Komödie” und dem Mußibat-nama?; weiter zwischen Ma’arris Risalat al Ghufran und Dante? Wenn denn diese Ähnlichkeiten bestehen, dann doch noch eher zwischen den Schriften Ibn al-‚Arabis und Dante (dazu NkG 122). S. 67 K.s Ausführungen über die Technik der Rahmenerzählung in der persischen Literatur sind aus Ritter, Meer 2, übernommen, ohne dass das angegeben wird. S. 73 Welche Verhältnisse werden von Ulrich Holbein “zurechtgerückt”? S. 79 Die Themen Armutbehördliche WillkürHerrscher sind sämtlich von Ritter übernommen, der ihnen einzelne Kapitel widmet: Not, leid und bedrückung (3. Kapitel, 54 ff.), Die weltmenschen (6. Kapitel, 89 ff.), Die (Roma, 31 marzo – 5 aprile 1970), Accademia Nazionale dei Lincei. Rome 1971, 545-70/Bausteine 1, 131-56/Essays 189-218.
18 Der Islam 64 (1987) 279-288.
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machthaber (7. kapitel, 104 ff.). Darüber kein Wort bei K. Auch das Verhältnis Fariduddin ‚Attars zu den Hofdichtern spricht Ritter an (Meer 156 f.), auch davon kein Wort bei K. S. 81 über den angeblichen “grossen” Sufi ‚Akkaf [?] ist nur wenig bekannt. S. 82
Ob Tassawuf [?] mit religiöser Dogmatismus richtig übersetzt ist, möchte ich bezweifeln. Eine nähere Untersuchung wäre notwendig. S. 83 Begriffe wie “Mullahs” und “Iraner” sind in diesem Kontext Anachronismen. S. 87 Zum “Humanismus” vgl. den Aufsatz von Marco Schöler.19 — S. 88 Zur Stellung des 12. (christlichen) Jahrhunderts vgl. vor allem Curtius, Europäische Literatur20, index, s.v. Renaissance des 12. Jh.s. S. 93 Der Vergleich zwischen den Zuständen in Ostiran zur Lebenszeit Fariduddin ‚Attars und denen des Dreissigjährigen Krieges scheint mir völlig verfehlt zu sein, das tertium comparationis sind allein die Grausamkeiten. S. 97 Zur von K. aus Meer 132 zitierten Stelle steht eine Verbesserung in Ocean 136. S. 106
Die Frage der Theodizee ist durchaus nicht bis vor kurzem in westlicher Literatur übersehen und erst durch Eric Ormsbys Buch Theodicy in Islamic Thought zum Bewusstsein gebracht worden, wie K. behauptet, wobei nichts gegen die Arbeit Ormsbys gesagt sei. Dazu auch van Ess, Vorwort Fehltritt21 5
19 “Zum Begriff des “islamischen Humanismus””, ZDMG
151 (2001), 275-320.
20 Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und
lateinisches Mittelalter. Bern 1954.
21 Josef van Ess, Der Fehltritt des GelehrtenDie “Pest von
Emmaus” und ihre theologischen Nachspiele. Heidelberg 2001.
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  1. S. 107 “Die jüdische und die islamische Mystik innerhalb des arabisch geprägten Kulturraums haben in ihren Strukturen… weit mehr gemein als die islamische Mystik mit der islamischen Philosophie”. Warum sollte die islamische Mystik denn etwas mit der Filosofie gemein haben? S. 108 Die Aussagen über Mutaziliten und Ashariten sind anachronistisch. Ein Buch Nietzsches mit dem Titel Der Wille zur Macht gibt es

bekanntlich nicht, bzw. es war eine Fälschung seiner Schwester. S. 132 Zu Ibn ar-Rawandi hier ?. S. 133 Was “iranische” Liebesmystik ist, weiss ich nicht. Gemeint ist “persische” Liebesmystik; hier ?. Die erste systematische Darstellung über istidrac steht, soweit ich weiss, bei Hakim Tirmidi.22 S. 140 Lies Abu Dharr. — S. 168 f. Alles aus Meer übernommen!
Der Bericht über Sifat as-safwa steht in Meer 168; über Yunus Emre Meer 180. S. 171, 174 Hadern mit Gott: Ritters 10. Kapitel, nicht mitgeteilt! S. 175 mysterium tremendummysterium fascinans¹amðl-¹alal-Problematik; dazu Meier, Kubrâ23 80 f. S. 184 Das Thema “Narren” verdankt K., ohne es mitzuteilen, Meer, 10. Kapitel. S. 193 Das Ghazzali-Zitat aus Matthäus steht Meer 321, nicht von K. vermeldet. S. 196 Jesus und der tote Hund: übernommen aus Meer 241, nicht vermeldet; wichtige Ergänzung Ocean 252S. 255 Zu Ernst
22 Bernd Radtke, Drei Schriften des Theosophen von Tirmidhi. Zweiter Teil: Übersetzung und Kommentar. Bibliotheca Islamica 35 b. Beirut-Stuttgart 1996, 103 ff.
23 Fritz Meier, Die fawâ’ih al-gamâl fawâtih al-galâl des Nagmuddîn al-KubrâWiesbaden 1957.
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Blochs unmöglichem Buch über Ibn Sina24 vgl. Radtke, Sa’na.25 Blochs Produkt geistesgeschichtlichen Dilettantismus über Curtius und Auerbach zu stellen, ist wahrlich “starker Tobak”.
***
Gewiss: Man kann einen grossen Entwurf, geistreich geschrieben und voller vielleicht überraschender Erkenntnisse, durch kleinliche, geistlose Auflistung von Fehlern und Versehen “kaputtmachen”. Ohne Zweifel: Kermani kann glänzend formulieren und schreibt keinen Unsinn. Auch sein
Ausgangspunkt persönlicher Erlebnisse ist für mich akzeptabel, der Versuch, Fariduddin ‚Attar zu aktualisieren, zu begrüssen.
Gegen das Buch spricht die Arbeitsweise, die ich nur als unsauber bezeichnen kann. Welche Entschuldigungen man auch immer ersinnen mag, es ist das Vorgehen Kermanis, vieles, ja fast alles Material aus dem Meer der Seele zu übernehmen, ohne das anzugeben, nicht zu tolerieren. Eine kurze Notiz hätte ja genügt, aber man findet sie leider nicht (vgl. z.B. s. 289).
Unangenehm auf mich wirkt auch K.s Vielwisserei, die Anmassung, über alles urteilen und schreiben zu können — Beispiele (s. 253 f.): das Urteil über Ernst R. Curtius und Ernst Auerbach, das name-dropping, die geradezu hemmungslosen Vergleiche — , ohne wirklich, wie es scheint, solide Kenntnisse
24 Ernst Bloch, Avicenna und die Aristotelische Linke.
Frankfurt 1963.
25 Bernd Radtke, “Die mystischen schriften der Safına-i Tabrız”. In Vorbereitung.
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und Reflexion zu besitzen. Hier fehlt wohl auch die erforderliche Selbstkritik. Schade! möchte man bei dieser intellektuellen Kompetenz sagen.
Welche Sachkenntnis hat eigentlich die Schreiber der hymnischen Besprechungen zu ihren Äusserungen berechtigt?
Quellen
Bernd Radtke: Über wissenschaftliche Redlichkeit. Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Band 159, Heft 1, 2009,
Harrassowitz Verlag, S. 15-22 [Der obige Artikel ist nicht mehr online]
Bernd Radtke. Wann haben wir eine echte wissenschaftliche Leistung vor uns? EJOS IX (2006), Nr.12, S. 1-49 [nicht mehr online]
Den Artikel hatte ich sicherheitshalber in meine Datei kopiert, ohne daß ich umgehend die wissenschaftliche Umschrift der arabischen und persischen Namen in von meinem PC lesbare Schriftzeichen umgewandelt habe. Jetzt habe ich das rekonstruiert, und es ist nicht in allen Fällen gelungen. An einigen Stellen habe ich [?] gesetzt. Es mögen mir Fehler unterlaufen sein.
Eine Replik auf Bernd Radtkes Vorwürfe. Von Navid Kermani, Köln, September 2007
Hellmut Ritter: Das Meer der Seele – und der Tümpel von Navid Kermani. 
26.August 2007/16. Mai 2009
Navid Kermani auf meinem Blog
Navid Kermani auf Blog 2 von Gudrun Eussner [sechs Artikel, aus dem Jahr 2009]

  1. Mai 2009
    Die Junge Freiheit preist in ihrem Buchdienst das neueste Buch des Autors an. Über ihn und seine „blumigen Geschichten“ schreibt Michael Paulwitz, im selben Medium, am 15. Dezember 2015, zum Thema „Wer kriegt den goldenen Sudel-Ede?“:
    „Nicht zu vergessen der Orientalist Navid Kermani, noch ein Liebling des Establishments, der am 23. Mai 2014 im Bundestag die Festrede zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes halten durfte und dabei vor allem kritisierte, daß das Asylrecht zu restriktiv sei und Deutschland überhaupt viel mehr „Flüchtlinge“ aufnehmen müsse. Den Willen hat er bekommen; dieses Jahr bereiste er für den Spiegel die Balkan-Einwanderungsroute und brachte viele blumige Geschichten von mittellosen Afghanen und traumatisierten Syrern mit.“
    Auch die anderen Artikel, Mai 2009 bis Dezember 2016, sind nicht sehr freundlich.

Der Hyper-Assimilierte. Von Thorsten Hinz, Junge Freiheit, 27. Mai 2014

sic transit gloria mundi ???
https://eussner.blogspot.com/2019/12/navid-kermani-bernd-radtke-uber.html

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