Das Kopftuch und die Schere im Kopf

16.7.2003  Politisches Feuilleton – Deutschland Radio Berlin

Hans-Peter Raddatz

Ohne Information über den Islam gerät der Staat in Bedrängnis

„Nachdem man vor einiger Zeit beschlossen hat, dass das Kruzifix auf Wunsch aus dem öffentlichen Raum zu entfernen ist, dreht sich nun die Debatte darum, ob das muslimische Kopftuch im öffentlichen Schuldienst zugelassen werden soll. Diese Frage lebt immer wieder neu auf, wesentlich angespornt durch den Rhythmus der Instanzen, welche die islamische Antragstellerin auf ihrem Klageweg durchläuft. Jetzt ist es das Bundesverfassungsgericht, das sich über wichtige Gesichtspunkte klar werden muss: Beschneidet ein Verbot das Persönlichkeitsrecht oder die Religionsfreiheit? Verletzt eine Erlaubnis das Neutralitätsgebot des Staates oder das Recht der Kinder auf negative Glaubensfreiheit?

In der allgemeinen Diskussion steht der Begriff der Religionsfreiheit eindeutig im Vordergrund. Sie ist ein hohes Gut in einem säkularen Staat, der religiös neutral ist, sich also sozusagen zur Bekenntnisfreiheit bekennt. Nun ist indes das Kopftuch selbst nicht nur ein Bekenntnis, dessen Tragen obligatorische Pflicht der orthodoxen Muslimin ist. Darüber hinaus ist es auch ein Symbol für das islamische Geschlechterverhältnis, das sich in einer strikten Trennung des öffentlichen vom privaten Raum und in der Verhüllung der Frau ausdrückt. Die Religion des Islam ist auch eine politische Rechtsordnung, deren Bestand ganz besonders auf dieser – männlich bewachten – Trennung beruht. In einer solchen Ordnung ist also das Kopftuch ein Mindestmaß an Verhüllung, das die intakte Wächterfunktion des Mannes für die islamische Ordnung insgesamt signalisiert.

Die Verfassungsrichter sind um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Wenn sie das Kopftuch zulassen, verletzen sie die Grundrechte der Frau, die Bekenntnisfreiheit des Staates sowie die negative Glaubensfreiheit der Kinder und aller anderen Nichtmuslime. Wenn sie es nicht zulassen, verletzen sie, wie es immer wieder heißt, den ‚Dialog mit dem Islam‘, ‚die Gefühle der Muslime‘, und nicht zuletzt ihre ‚Identität‘, auf die auch die Klägerin selbst immer wieder pocht. Diese Identität wird ihr allerdings von einer Religion verliehen, deren Recht das Verlassen der Gemeinschaft nicht zulassen kann. Die Identität der Trägerin des Kopftuchs besteht ganz wesentlich in dem Bekenntnis zu einer Religion, die im deutschen Staat die Freiheit dazu fordert, innerhalb ihrer Gemeinschaft die Unfreiheit der Religion und die Dominanz des Mannes als religiöse Vorschrift anzuerkennen und durchzusetzen. Dabei fordert die Rechtsordnung dieser Religion ihre Mitglieder dazu auf, das Gesetz Allahs, die Shari’a, durchzusetzen und nicht der sie umgebenden, nichtislamischen Ordnung, dem menschengemachten Grundgesetz zu folgen.

Die Gemeinschaft des Islam in Deutschland ist im Rahmen der Zuwanderung über die Jahre rasant gewachsen und wurde dabei zunehmend von islamistischen Repräsentanzen in den Griff genommen. ‚Milli Görüsh‘ und der ‚Zentralrat der Muslime‘ sind inzwischen auch der breiteren Öffentlichkeit bekannte Gremien, die sich seit jüngerer Zeit allerdings weniger auf demokratische Integration, sondern eher die Überzeugungskraft der türkischen Regierung und saudischen Finanziers gestützt haben. Die Sicherheitsbedenken des Verfassungsschutzes verpuffen seit Jahren in demselben öffentlichen Raum, in den sie nun allmählich vorrücken. Umso mehr erfreuen sie sich wachsender Unterstützung durch die maßgebenden Ebenen in Politik und Gesellschaft, die den Islam in Deutschland pauschal als ‚Religion des Friedens‘ vermarkten, ohne sich um seine konkreten, inneren Bedingungen zu kümmern. Weder prüfen sie die Inhalte, die den muslimischen Kindern vermittelt werden, noch die langfristigen Absichten, die hinter den zahlreichen Moscheeprojekten stehen. Auch die steigende Zahl der ‚kulturbedingten‘ Straftaten scheint sie keineswegs zu beunruhigen. Wie aus dem kritischen Umfeld der Gerichte und Staatsanwaltschaften zu hören ist, werden gleichwohl Delikte der Körperverletzung und Tötung, die von muslimischen Tätern an ihren Frauen begangen werden, in abnehmendem Maße nach geltendem Strafrecht abgeurteilt. Alle Aspekte, die einer uneingeschränkten Freiheit und Toleranz für die Ausbreitung des Islam entgegenstehen könnten, scheinen schon im Ansatz einer ‚Schere im Kopf‘, einer umfassenden Zensur zum Opfer zu fallen.

Was die Verantwortlichen daher bisher präzise vermieden haben, ist eine konkrete Bestandsaufnahme der islamischen Sachlage. Als Domäne des Mannes kann hierzulande der öffentliche, politische Raum umso islamischer funktionieren, je verhüllter die Frau auftritt, die ihrerseits den privaten Sektor repräsentiert. Selbst – oder gerade – wenn sie eine öffentliche Tätigkeit ausübt, ist ihre Verhüllung umso notwendiger. Die Trennung betrifft nicht nur den generellen Schutz der weiblichen Sexualität, sondern vor allem den Schutz der Frau vor der fremden Rechtsordnung. Kopftuch und Schleier müssen also umso allgemeinere Anwendung finden, je deutlicher sich die Scharia, der ‚Islamgrad‘ der Gemeinschaft, mit Moscheebau, Islamunterricht, Muezzinruf, Schächten etc. geltend macht. Umso weniger kann somit auch die einzelne Muslimin über das Für und Wider ihrer Kopfbedeckung als Zeichen ihrer ‚Identität‘ frei entscheiden. Sie steht von zwei Seiten unter Druck – privat seitens Mann und Familie und offiziell seitens Moschee und Gemeinde. Je weiter allerdings das Kopftuch – als Symbol des Bekenntnisses zur islamischen Rechtsgemeinschaft – seinerseits in den öffentlichen Raum vorrückt, desto weiter entfernt sich das betroffene Rechts- und Verfassungssystem vom Status des bekenntnisfreien Staats.

Das Kopftuch ist also alles andere als nur ein Kleidungsstück, als das es gern von denjenigen dargestellt wird, die Mode mit politreligiöser Toleranz verwechseln. Es ist ein überaus tiefgreifender Indikator, der über das Ausmaß informiert, in dem die Muslime in Deutschland und in anderen Ländern Europas zur Integration fähig oder bereit sind. Wer meint, es als Bedingung der Religionsfreiheit vertreten zu müssen, übersieht die zentrale Bedeutung der Verhüllung der Frau im islamischen Rechtssystem, dessen Realisierung im demokratischen System wiederum wichtigste Grundrechte sowohl auf Seiten der muslimischen Frau als auch der umgebenden Gesellschaft verletzen muss. Somit ist die Bedeutung des Kopftuchs keineswegs auf den öffentlichen Dienst beschränkt. Je weiter sich die kompetente Diskussion über diese Problematik und die Anwendung des eigenen Rechts auf die Muslime zurückziehen, desto ungehinderter von der Verfassung kann sich die Islamgemeinschaft entfalten – mit allen Risiken des latenten Radikalismus. So ist allein schon die Präsenz des Kopftuchs im öffentlichen Straßenbild der geeignete Index für denjenigen, der sich für den jeweiligen Stand des islamischen Selbst- und Rechtsbewusstseins interessiert. Er zeigt mithin auch das Ausmaß an, in dem dieses Bewusstsein die nichtislamische Umgebung ablehnt, ein Phänomen, das sich ungehindert in Deutschland und Europa ausbreiten kann, solange man hier keine Kenntnis vom real existierenden Islam und seinen undemokratischen Strategien nehmen will oder kann.“

Hans-Peter Raddatz: Jahrgang 1941, ist promovierter Orientalist, Volkswirt und Systemanalytiker sowie Co-Autor der ‚Encyclopaedia of Islam‘, dem Standardwerk der internationalen Orientalistik. Er vertrat über viele Jahre die Nahostinteressen internationaler Banken und Unternehmen. Zahlreiche Publikationen und Vorträge zum gesamten Themenkreis des Islam, zuletzt erschienen ‚Von Gott zu Allah? Christentum und Islam in der liberalen Fortschrittsgesellschaft‘ und ‚Von Allah zum Terror? Der Djihad und die Deformierung des Westens‘.

 

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