Recht auf Einwanderung?

Jeder darf wandern, wohin er möchte. Aber niemand ist verpflichtet, ihn bei sich aufzunehmen. Zwei Freiheitsrechte prallen aufeinander. Eine Reflexion.

13.11.2015, von Rainer Hank:  Auszüge:
„Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen“, heißt es im Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948. Migration war damals, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, eine sehr präsente Erfahrung. Die Vereinten Nationen erklärten das Recht zu wandern, wohin auch immer man wolle, zum allgemeinen Menschenrecht. Es kennt keinerlei Einschränkungen. Es ist irrelevant, welche Gründe der Exilant für seinen Wegzug hat. Es ist unwichtig, ob er sich politisch, wirtschaftlich oder kulturell benachteiligt fühlt oder ob ihn einfach nur die Abenteuerlust übermannt. Das Grundrecht, sein Land zu verlassen, ist universell, gilt für jedermann zu jeder Zeit und in jedem Alter.“
„Wer auswandert, macht Gebrauch von seiner Freiheit. Er hat ein Recht darauf, muss keinen Pharao, Bundeskanzler oder Despoten um Erlaubnis fragen. Liberales Denken kann nicht beim Bekenntnis zum freien Austausch von Gütern, Geld und Dienstleistungen seine Grenzen finden: Eine wirklich liberale Gesellschaft eröffnet ihren Mitgliedern unbegrenzte Bewegungsfreiheit.“
„Die Rechtfertigung der ungehinderten Bewegungsfreiheit braucht keine moralische Überhöhung, kein religiöses oder philosophisches Gutmenschentum, ist nicht auf Mitleid und Barmherzigkeit angewiesen. Freiheit ist Freiheit, hat immer etwas Anarchisches; kümmert sich um keine Willkommenskultur. Niemand muss seine moralische Eignung beweisen, bevor er loszieht. Niemand muss sich niedere Motive vorwerfen lassen, wenn er darauf hofft, im Land seiner Sehnsüchte ein wirtschaftlich angenehmeres Leben führen zu können. „Eine autonome Person ist Mitautorin ihres eigenen Lebens“, schreibt der Dresdener Politikwissenschaftler Oliviero Angeli: „Die Bewegungsfreiheit trägt konstitutiv zum Gelingen eines autonomem Lebens bei.“
Begründet das Recht auf ungehinderte Emigration zugleich ein Recht auf Einwanderung? Natürlich nicht: Ein solches Recht würde die Freiheitsrechte anderer beschneiden. Die Ureinwohner Nordamerikas können ein Lied davon singen. Dem Recht auf freie Wanderung steht ein Recht auf Ausschluss der Wandernden entgegen. Beide Rechte gründen in der individuellen Autonomie, was freilich voraussetzt, dass man eine Nation im Sinne der Volkssouveränität als kollektive Willensbekundung ihrer Individuen versteht und das Gebiet dieser Nation als eine Art Eigentum seiner Bewohner betrachtet.“
„Der Schutz dieses Eigentums ist ebenfalls ein Freiheitsrecht. „Life, liberty and property“ (Leben, Freiheit und Eigentum) galten dem englischen Aufklärer John Locke als naturrechtlich gedeckt und werden von jeder liberalen Verfassung garantiert. (Dass in der amerikanischen Verfassung aus dem „Eigentum“ Lockes am Ende der „pursuit of happiness“ wurde, das Recht, sein Glück zu machen, ist ein hübsches Aperçu, das immer schon Anlass zu vielfachen Deutungen gab). Wer nicht darauf zählen kann, dass sein Eigentum geachtet wird, der verliert das Vertrauen in die Zukunft: Keine Anstrengung lohnt sich, wenn zu befürchten ist, dass die Früchte dieser Anstrengung weggenommen werden, ohne dass es eine Instanz gibt, der man das Unrecht melden und dafür Wiedergutmachung fordern kann.“ (…)
„„Keine Gesellschaft kann langfristig überleben, wenn sie ihre Gemeingüter kostenlos allen zugänglich macht“, sagt der Hamburger Ökonom und Migrationsexperte Thomas Straubhaar. Was nichts kostet, ist bekanntlich nichts wert. Kostenlosigkeit würde Anreize schaffen, die Gemeingüter zu stark zu nutzen und wenig für ihren Erhalt zu leisten. Es käme zu einem Verfall des Landes, der in der Ökonomie als Allmendeproblem bekannt ist: Ein Land, das alle Mühseligen und Beladenen einlädt zu kommen, ohne dafür einen Preis zu verlangen, wird bald niemandem mehr etwas bieten. Es kommt zu einer „Überfischung“, einem Raubbau an den Gemeingütern, dem auf lange Sicht das ganze Vermögen zum Opfer fällt. Es ist nicht nur die irrationale Angst vor dem Fremden, wenn die Menschen hierzulande sich vor unkontrolliertem und unbegrenztem Zuzug fürchten. Es ist die berechtigte Sorge vor dem Wertverfall.“  (…)  (Hervorhebung GB)
„Dem Recht der Auswanderung korrespondiert kein selbstverständliches Recht der Einwanderung.“ (…)

Zum Artikel:

http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/fluechtlingskrise-zwei-freiheitsrechte-prallen-aufeinander-13899426.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

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