Hartmut Krauss
Ein kurzes Plädoyer für die Formierung einer säkular-humanistischen Gegenbewegung
„Leiden ohne zu klagen, ist höchste Tugend, nicht die Abschaffung oder wenigstens Verringerung des Leidens. Sich dem Schicksal fügen, ist der Heroismus des Masochisten, das Schicksal ändern, der des Revolutionärs“ ( Erich Fromm in „Studien über Autorität und Familie“, S.121.)
„Seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus und dem damit besiegelten Ende des Kalten Krieges ist eine globale Offensive reaktionär-religiöser Bewegungen zu konstatieren, die ein enormes Potential an Gewalt und repressivem Herrschaftsstreben in sich birgt(1). Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Aufwallung des Religiösen als ein kulturübergreifender Aufschwung irrational-fundamentalistischer Massenbewegungen, die über zahlreiche Verbindungskanäle mit dem religiösen Terrorismus verknüpft sind und nachhaltigen Einfluß auf staatspolitische Entscheidungsträger sowie supranationale Gremien ausüben.(2)
(…) Als legitimatorische „Enterhaken“ der schleichenden Ausbreitung islamischer Herrschaftskultur in Deutschland dienen dabei insbesondere zwei strukturelle Ansatzpunkte:
1) Die missbräuchliche Auslegung von Artikel 4 GG als Persilschein für die Legalisierung des grundrechtswidrigen orthodoxen „Mainstream-Islam“ und
2) Das anachronistische deutsche Staatskirchenrecht mit seinen diversen Privilegierungen als Lockmittel der Begehrlichkeiten seitens der diversen Islamverbände(6).
Strategisch durchaus konsequent agieren die christlichen Kirchen in der ersten Reihe der ‚Islamversteher’ und ‚Berufsdialogisten’ und versuchen sich am Migrationsimport streng gottesgläubiger Menschen die Hände zu wärmen, d. h. als ‚Integrationsexperten’ verlorenen Boden zurück zu gewinnen. Entsprechend agitiert der Vatikan für islamischen Religionsunterricht an europäischen Schulen und verkauft diese staatlich abgesicherte religiöse Indoktrination unmündiger Kinder als „Ausdruck des Respekts vor dem Menschen“(7). Die Kritik an der Vorenthaltung von Menschenrechten in islamischen Ländern wird als „billige Gegenrechnung“ denunziert und damit das Prinzip der Gegenseitigkeit in selbstzerstörerischer Weise außer Kraft gesetzt, wenn der Westen gegenüber dem Islam mit seinen grundrechtswidrigen Implikationen uneingeschränkte Religionsfreiheit gewährt, den Islam aber gleichzeitig aus der Pflicht entlässt, die Menschenrechte einzuhalten.
In globaler und verallgemeinernder Perspektive betrachtet ist es deshalb durchaus zutreffend, davon auszugehen, dass sich die gegenwärtige und zukünftige Weltpolitik nur noch unter Berücksichtigung der religiösen Komponente angemessen begreifen lässt (Röhrich 2004).
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass religiös-konservative Bevölkerungsgruppen mit patriarchalen Familienstrukturen liberale und säkular-fortschrittliche Gruppen demografisch überflügeln und dadurch weltweit an Bedeutung gewinnen werden(8). Um die europäischen Gesellschaften auf diese soziokulturelle Regression vorzubereiten, wird von der spätkapitalistischen Herrschaftselite bereits jetzt von der „postsäkularen Gesellschaft“ gesprochen.
Angesichts dieser objektiven Entwicklungen ist es längst überfällig, dass sich die säkular-humanistischen Kräfte in Europa, die sich an den Grundprinzipien der Aufklärung sowie den Werten und Normen der kulturellen Moderne orientieren, gegenoffensiv und eigenständig zusammenschließen, sich als eine erneuerte geistig-moralische Bewegung formieren und ihre Überzeugungen und Zielsetzungen auf gesellschaftspolitisch wirksame Weise in die Waagschale werfen. Im Interesse der Schaffung handlungsfähiger Strukturen sind dafür folgende Maßnahmen unerlässlich, die es ermöglichen, nicht nur defensiv und reaktiv, d. h. getrieben vom Gegner, aktiv zu werden:
I. Die Bildung einer zielführenden, sich arbeitsteilig organisierenden Bündnisgruppe und/oder Mitgliederorganisation als ‚Frontverband’ für die Öffentlichkeit.
II. Die Etablierung eigener Medien (Internetauftritt, Printorgan/Zeitschrift, Schriftenreihe/gedruckte Materialien, Jahrbuch etc.)
III. Die Realisierung einer Veranstaltungsagenda (Vortragsveranstaltungen/Podiumsdiskussionen, Konferenzen, Bildungsseminare, Ringvorlesungen etc.).
Ein solches Projekt lädt alle Personen zur Mitarbeit ein, die sich von einem fortschrittlich-emanzipatorischen und säkular-humanistischen Standpunkt ausgehend gegen den internationalen und nationalen Vormarsch religiöser Herrschaftskultur wenden und sich in diesem Kontext auch gegen deren Protagonisten und Förderer engagieren wollen.
Hartmut Krauss, Juli 2010
Literatur:
Assmann, Jan: Monotheismus und die Sprache der Gewalt. Wien 2009, 5. Auflage.
Juergensmeyer, Mark: Die Globalisierung religiöser Gewalt. Von christlichen Milizen bis al-Qaida. Hamburg 2009.
Kippenberg, Hans G.: Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung. München 2008.
Krauss, Hartmut: Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen ‚prämoderner’ Herrschaftskultur und kapitalistischer ‚Moderne’.
Kröhnert, Steffen; Klingholz, Reiner: Glaube, Macht und Kinder. Erobern religiöse Menschen mit vielen Nachkommen die Welt? Discussion Paper des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung 2010.
http://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Glaube_Macht_und_Kinder.pdf
Perthes, Volker: Bürgerkrieg oder Integration? Islamismus und Staat im arabischen Raum. In: Peter Pawelka/Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Der Vordere Orient an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Opladen/Wiesbaden 1999, S. 143-155.
Röhrich, Wilfried: Die Macht der Religionen. Glaubenskonflikte in der Weltpolitik. München 2004.
1. Monotheistische „Religion“ bzw. „Religiosität“ lässt sich entgegen interessierter Verzerrungen und romantischer Wunschbilder nie auf individualisierte Spiritualität reduzieren, sondern strebt wesensgemäß immer nach normativer Herrschaft. „Das umstürzend Neue an dem exklusiven Monotheismus ist, dass er nicht nur eine Sache des Kults und vielleicht auch des allgemeinen Weltverhältnisses ist, sondern die gesamte Lebensführung, Festtag und Alltag, bis ins kleinste Detail hinein regeln will.“ (Assmann 2009, S. 46).
2. Zur aktuellen Empirie gewaltbesetzter reaktionär-religiöser Bewegungen siehe zum Beispiel Kippenberg 2008 und Juergensmeyer 2009 sowie zum totalitären Wesen religiöser Fundamentalismen Krauss 2003.
3.„Wenn ein Kind eher verträumt ist oder einfach gerne isst – nach Meinung der Prediger muss es mit dem Teufel im Bunde sein. Ein Familienmitglied stirbt oder dem Vater wird gekündigt – da ist Hexerei im Spiel. Gegen Geld gehen dann die ‚Teufelsaustreiber’ ans Werk“ (Neue Osnabrücker Zeitung vom 28 Juli 2006).
4. Aufgrund der tiefen Verankerung evangelikal-fundamentalistischer Glaubensüberzeugungen innerhalb der us-amerikanischen Bevölkerung hat sich eine obsessive Sucht ausgebreitet, aktuelle politische Ereignisse apokalyptisch umzudeuten und den „Antichristen“ zu benennen. Als zum Beispiel kurz nach seiner Wahl zum Generalsekretär erste Bilder von Michael Gorbatschow zirkulierten, „meinten Fundamentalsten in dem roten Muttermal auf seiner Stirn das Zeichen des Antichristen zu entdecken“ (Kippenberg 2008, S. 155.)
5. Mittlerweile dürfte sich dieses Wählerpotential eher vergrößert als verringert haben.
6.„Der türkisch-islamische Verband DITIB drängt die Landesregierungen, Muslime als Religionsgemeinschaften anzuerkennen. Die Muslime in Deutschland erfüllten alle Voraussetzungen. Modellversuche wie der islamische Religionsunterricht oder die Ausbildung von Seelsorgern sein nur ein erster Schritt.“ Neue Osnabrücker Zeitung vom 22. Juni 2010, S. 4.
7. So der Vatikan Kardinal Renato Raffaele Martino. Vgl. Neue Osnabrücker Zeitung vom 10. März 2006, S. 1.
8. Kröhnert/Klingholz 2010.


