Klugheit als Tugend für den Ernstfall

„Der Sozialpsychologe Harald Welzer kritisiert in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ die „hektische Stimmungspolitik“, mit der Staat und Gesellschaft in Deutschland auf die russische Invasion in der Ukraine reagierten. Es mangele an einer klugen Debatte über die Ziele, die man durch das eigene Eingreifen in den Konflikt erreichen könne und solle.

In Deutschland und anderen westlichen Gesellschaften gebe es gegenwärtig eine „erstaunliche Absenz einer politischen Debatte“, was die Ziele angehe, die man durch das eigene Engagement in der Ukraine verfolge. Es gebe insbesondere eine „unausgesprochene Veränderung des Kriegsziels des Westens“, das sich von einer möglichst schnellen Beendigung des Krieges hin zu einem ukrainischen Sieg gewandelt habe.
Es bleibe aber unklar, was dies genau bedeute. Es werde weder „explizit über Kriegsziele noch über Gestalt und Figuration einer Nachkriegsordnung gesprochen“. Die wesentliche Lehre aus der Niederlage in Afghanistan, nämlich „dass man keinen Krieg führen sollte, ohne zu wissen, wie man ihn beendet“, sei bereits wieder in Vergessenheit geraten.
Anstelle von strategischem Denken und Handeln gebe es nur „hektische Stimmungspolitik“, die von Emotionen getrieben werde. Die „Dringlichkeit sofortiger Aktionen“ sei „gegenüber Denken, Überlegung und Abwägung radikal aufgewertet“ worden, die als Ausdruck von „Zögern“ und „Zaudern“ abgewertet würden. Der „depperte Verweis auf das Ansehen Deutschlands“ werde „zum fiktiven Grund erklärt, dass vorschnelles Handeln ­besser sei als verantwortliches“.
Die oben beschriebenen Tendenzen seien mit Risiken für Deutschland und Europa verbunden. Das Beispiel des Ersten Weltkriegs unterstreiche, dass Kriege auch ohne entsprechende politische Absichten der Beteiligten unkontrolliert eskalieren könnten, wenn es keine vernünftigen Kriegsziele gebe. Im Krieg könnten dann auf der ihm eigenen Dynamik „Handlungs­folgen entstehen, die kein Einzelner so intendiert hat“.

Vor diesem Hintergrund sei eine „Politik des Zögerns in gefährlichen Konstellationen dem forschen Eskalieren mit unklaren Absichten und Aussichten“ vorzuziehen. Es sei „mehr als fahrlässig, die innen- wie außenpolitischen Gefahren eines erneuten Schlaf­wandelns zu ignorieren“.1 “

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