Das kulturrevolutionäre Wesen der Genderideologie

Vincenzo Turchi
19. März 2018
Der Rechtswissenschaftler Vincenzo Turchi lehrt an der Universität von Salento in Italien.
Im Rahmen einer Konferenz, die vor wenigen Tagen an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom stattfand, trug er zur den Herausforderungen vor, welche die Genderideologie für das Christentum darstelle. Dabei betonte er vor allem das kulturrevolutionäre Wesen dieser Ideologie.
Aus christlicher Perspektive habe diese Ideologie die folgenden problematischen Eigenschaften:
Die Gender-Ideologie leugne die Natur des Menschen sowie die Existenz einer unverfügbaren, durch den Mensch nicht veränderbaren moralischen Ordnung und strebe die Auflösung der Bindung von Gesellschaften an das Naturrecht an.
Das Menschenbild der Gender-Ideologie gehe von einem durch Politik und Gesellschaft weitgehend beliebig formbaren Menschen aus, wodurch sich diese Ideologie im radikalen Gegensatz zum christlichen Menschenbild stelle.
Diese Ideologie trete zudem für weitreichende staatliche Eingriffe ein, um den Menschen in ihrem Sinne zu formen, etwa im Schulwesen. Dadurch verletze sie unter anderem das Recht von Eltern zur Erziehung der eigenen Kinder und wende sich gegen das Subsidiaritätsprinzip der christlichen Soziallehre.
Die Gender-Ideologie offenbare dadurch auch, dass ihre Behauptung, die „Selbstbestimmung“ des Menschen fördern zu wollen, nicht ihren tatsächlichen Absichten entspreche. Tatsächlich gehe es ihr um die revolutionäre Durchsetzung neuer kultureller Normen durch die Zerstörung der gewachsenen Kultur.
Die Vertreter der Gender-Ideologie würden ihr Vorgehen und ihre Ziele dabei generell nicht als legitimen Gegenstand von Diskussionen betrachten, sondern ihre Kritiker mit Rassismus- und Sexismusvorwürfen zu delegitimieren versuchen. Sie würden in diesem Zusammenhang zunehmend aggressiv gegenüber den Vertretern christlicher Weltanschauung agieren, deren Positionen als „diskriminierend“ etc. angegriffen würden, etwa im Fall des Eintretens für das traditionelle Verständnis von Ehe und Familie.
Christen müssten sich vor diesem Hintergrund darauf einstellen, in ihrem Eintreten für eine gerechte Gesellschaft künftig noch größeren Widerständen gegenüberzustehen.
Hintergrund
Der Begriff der Gender-Ideologie beschreibt kein einheitliches Phänomen, sondern eine allgemeine weltanschauliche Strömung, die von neomarxistischen, postmodernen und neoliberalen Einflüssen geprägt wird. Alle Elemente dieser Strömung teilen dabei ihre grundsätzliche Ablehnung des christlichen Menschenbildes, das als illegitime Einschränkung der Selbstverwirklichung des Menschen verstanden wird.
Durch die Auflösung von christlich geprägter Kultur und Tradition, die als mit dem Ziel der Unterdrückung des Menschen geschaffene soziale Konstrukte verstanden werden, werde der Mensch befreit und in die Lage versetzt, sich selbst zu verwirklichen.
Die Gender-Ideologie folgt dabei der politischen Strategie des Neo-Marxismus, die versucht, gesellschaftliche Gruppen durch Opferdiskurse als revolutionäre Akteure gegen die gewachsene Kultur und ihre Träger in Stellung zu bringen. Sie verbindet diese Strategie mit der politischen Sprache der Postmoderne und des Liberalismus, welche die Zerstörung des Gewachsenen als Gewinn von Freiheit darzustellen versucht.
Papst Franziskus hatte die Gender-Ideologie mehrfach deutlich kritisiert. Es gebe einen „Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören“, in dem die Gender-Ideologie, die er als „Fehler des menschliches Geistes“ bezeichnet, eine der geistigen Waffen darstelle. Diese Ideologie werde gegenwärtig im Rahmen eines „ideologischen Kolonialismus“ gestützt auf die Ressourcen finanziell starker Institutionen und Staaten global durchgesetzt.
https://renovatio.org/2018/03/vincenzo-turchi-das-kulturrevolutionaere-wesen-der-genderideologie/
Kommentar GB:
Der folgende Absatz ist in doppelter Hinsicht kritikbedürftig:
„Die Gender-Ideologie folgt dabei der politischen Strategie des Neo-Marxismus [? GB], die versucht, gesellschaftliche Gruppen durch Opferdiskurse als revolutionäre Akteure gegen die gewachsene Kultur und ihre Träger in Stellung zu bringen [Identitätspolitik, GB]. Sie verbindet diese Strategie mit der politischen Sprache der Postmoderne und des Liberalismus, welche die Zerstörung des Gewachsenen als Gewinn von Freiheit darzustellen versucht.“
Erstens handelt es sich bei den finanziell äußerst großzügig gesponserten postmodernen Kampagnenbewegungen nicht um „Neomarxismus“, außer im Sinne eines willkürlich gewählten Etiketts.
Es gibt in dieser Szene sogenannter zivilgesellschaftlicher Akteure überhaupt kein Denken. Es werden vielmehr lediglich Schlagworte und Parolen verwendet, die zuvor von der politischen Propaganda ausgewählt worden sind.
Die postmoderne „Identitätspolitik“ ist politisch gefährlicher irrationaler Unfug und hat jedenfalls mit Denken und Handeln in der Tradition des Marxschen Werkes nichts zu tun – ganz im Gegenteil!
Zweitens handelt es sich auch nicht um Liberalismus, und zwar einfach deswegen, weil es in der Gender-Ideologie um Libertinage geht und nicht um die Freiheit des sittlich verantwortlichen autonomen Individuums innerhalb eines freiheitlichen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs (Kant).
Bei uns ist dieser gesellschaftliche Gesamtzusammenhang normativ durch das Grundgesetz von 1949 repräsentiert.
Wer sich für Libertinage, Dekadenz und Perversion interessiert, der sei an den Marquis de Sade und dessen Schriften verwiesen. Oder auch, aus kritisch-analytischer Sicht:
Janine Chasseguet-Smirgel: Anatomie der menschlichen Perversion, DVA: Stuttgart 1989
 
 

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