Rundbrief Februar / März 2019

Gerd Held

Berlin, 7. April 2019

Werte Leser, Kollegen und Freunde,

Dies ist die Februar/März-Ausgabe meines Rundbriefs, also eine Doppelnummer, die auf die beiden vergangenen Monate zurückblickt und Texte vorstellt, die auf meiner Webseite www.gerdheld.de in der Rubrik Der Monat zu lesen sind.

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Meine Texte der beiden vergangenen Monate befassen sich mit den internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Also mit dem, was man traditionell mit Außenpolitik und Außenwirtschaft bezeichnen müsste. Aber die vorherrschende globalisierenden Sprachregelung kennt gar kein „außen“ mehr, sondern nur noch eine „Welt-Innenpolitik“ und eine „Welt-Binnenwirtschaft“. Das macht die Welt nicht besonders weit, sondern im Gegenteil besonders eng, weil alles über einen Kamm geschert wird. Und auch das „Europa“, das im Mai zu „Europa-Wahlen“ aufgerufen wird, zeigt sich als eine sehr gleichförmige Landschaft mit einer künstlich geglätteten Oberfläche, die alle interessanten Unterschiede verschwinden lässt. Das führt viele Menschen dazu, beim Thema „Europa“ abzuwinken. Deshalb zieht sich durch meine Texte der Versuch, gegen diese Ödnis die Besonderheit und die Bedeutung des „Außen“ herauszuarbeiten und einige Schlüsselargumente vorzustellen, die den Unterschied Innenpolitik/Außenpolitik und Binnenwirtschaft/Außenwirtschaft begründen und zu einer Schlüsselunterscheidung der Neuzeit machen.

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Zunächst fällt auf, wie monoton in den vergangenen Wochen und Monaten die Themenauswahl des tonangebenden Blocks in Politik, Wirtschaft und Kultur geworden ist. Es ist eigentlich nur ein Thema – gewissermaßen nur ein Wort – auf das alles zusammenschrumpft: „Europa“. Es wird eine Art europäischer Imperativ errichtet werden, in dessen Schatten all die Mühen der Ebene, die die regierende Mehrheit nicht bewältigt, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden. Die Überschuldung, an der man sich Zähne ausbeißt, soll sich auf einmal – oh wundersame Fügung – dadurch tragbar werden, dass man sie „europäisch“ angeht. Ebenso soll die Unfähigkeit, die willkürliche Massenmigration an den Außengrenzen abzuwehren, dadurch keine Unfähigkeit mehr sein, dass man „europäische“ Außengrenzen hat. Ähnliches gilt für die hartnäckigen Probleme, die es bei der Bekämpfung des Terrorismus, bei der Deindustrialisierung ganzer Länder, bei der zunehmenden Krisenanfälligkeit der Infrastruktur oder beim Niveauverfall unserer Schulbildung gibt.
Mit anderen Worten: Alle diese realpolitischen Aufgabenfelder, die sich in den verschiedensten Größenordnungen zwischen kleinräumig und großräumig erstrecken, sollen durch eine politische Verschiebung bearbeitet werden, von der man eigentlich nur sagen kann, dass sie irgendwie eine Verschiebung „ins Große“ ist. Ja, das neue Politikthema der Regierenden bedeutet, wen man es einmal nüchtern auf seinen sachlichen Kern bringt, nichts anderes als ein Größe-Versprechen. Es wird suggeriert, dass die heutigen Probleme durch einen größeren Politikrahmen gelöst werden. Und in dem Moment, wo man die laufenden Europa-Kampagne einmal so nüchtern auf ihren sachlichen Kern hin überprüft, wird sofort klar, dass diese Politikverschiebung nichts lösen kann und wird. Das Superthema „Europa“ ist eigentlich ein Nonsens. Es ist eine Beschwörungsformel. 

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Aber ganz so klar ist die Angelegenheit vielleicht doch nicht, zumindest nicht, wenn es um die Alternative geht. Wenn die institutionelle Ordnung positiv bestimmt werden soll, die die sich häufenden Probleme lösbar macht. Das zeigt sich unter anderem beim Brexit. Es fällt auf, dass viele Menschen, die dem EU-Gebilde kritisch gegenüberstehen, doch zögern, ob sie den Schritt Großbritanniens, aus diesem Gebilde auszutreten, unterstützen sollen. Das kann man auch so verstehen, dass sie an den Möglichkeiten der Außenpolitik und des Außenhandels zweifeln. Doch von diesen Möglichkeiten hängt die Existenz eines souveränen, aber nicht abgeschotteten Landes ab. Die Fähigkeit zum „Außen“ gehört zum Wesen jeder Souveränität.

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In den Texten dieser Ausgabe von „Der Monat“ werden daher nicht nur die Maßlosigkeiten und Täuschungen der Global-Politik in Europa, namentlich in Frankreich und Deutschland, kritisiert, sondern es wird auch an zwei Grundargumente erinnert, die die ordnungspolitische Kraft von Außenpolitik und Außenhandel stützen. Beide sind schon „alte“ Argumente, aber sie gehören doch zur Ära der Neuzeit, als zur Tradition der Moderne.
Das eine Grundargument ist ökonomischer Art und betrifft die Logik der „komparativen Vorteile“, wie sie erstmals der britische Ökonom David Ricardo im 19. Jahrhundert dargelegt hat. Diese Logik erlaubt es auch kleineren Ländern, weniger entwickelten Ländern oder Ländern mit schwierigeren Grundbedingungen, im internationalen Austausch einen Platz zu finden. Denn es ist für die „stärkeren“ Teilnehmer am Welthandel gar nicht erstrebenswert, ihre Ressourcen auf alle Arbeitszweige zu verteilen. Auch für sie gilt das „make or buy“: Eine Konzentration auf einige, für sie besonders produktive Zweige und der Zukauf/Import in anderen Zweigen, bringt für sie – und für schwächere Länder – mehr. Das ist insofern aktuell, als immer wieder gegen den Brexit das Argument zu hören ist, Großbritannien sei „zu klein“, um vorteilhafte Handelsverträge durchzusetzen. Aber der Außenhandel ist kein Polit-Spiel um Macht, sondern zielt auf Wertschöpfung.
Das andere Argument ist mit dem Namen „Montesquieu“, dem französischen Staatsphilosophen aus dem 18. Jahrhundert, verbunden. Er zeigte, dass die Größe des Staatsgebietes und die Staatsform (die Form der Ausübung politischer Macht) miteinander in Beziehung stehen. Das ist nicht als rein quantitatives Quadratkilometer-Gesetz zu verstehen, sondern es ist die Häufung von unvorhersehbaren Vorkommnissen und Wechselwirkungen (die „Komplexität“, würden wir heute sagen), die mit der Größenzunahme des Staatsgebietes zu einer zunehmenden Willkür der politischen Entscheidungen führt. Wenn heute häufig zu Recht gesagt wird, dass demokratische Kontrolle nur in den (nationalen) Territorialstaaten in Europa gegeben ist, dann wird das erst durch Montesquieus Zusammenhang von Größe-Komplexität-Willkür wirklich hart begründet. Und es wird zu einer Begrenzungsaufgabe für politische Verfassungen, die so wichtig ist wie die Gewaltenteilung.

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Natürlich sind diese Grundargumente auch von Bedeutung, wenn man an ein zweites Groß-Wort denkt, das gegenwärtig über alle politische und ökonomische Vernunft gestellt wird: das „Klima“. Die „Klimarettung“ ist zu einem Absolutum geworden, die die ganze Komplexität der Welt auf eine bestimmt Temperaturzahl und auf eine bestimmte CO2-Emissionszahl zusammenschrumpfen lässt. Für diese erschreckende Simplifizierung der Welt sind die Schüler, die unter dem wohlgefälligen Blick von Politikern und Medienleuten ihre eigene Bildung bestreiken, tatsächlich ein Symbol – aber ganz anders, als sie sich einbilden: Sie sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Des Problems, dass dies Jahrhundert in einem extremen Spannungsverhältnis zwischen begrenzten Umweltressourcen und einer Bevölkerung von 7,5 Milliarden steht und daher vor einer gewaltigen Arbeitsanstrengung steht. Und gerade auf diese Arbeitsanstrengung ist unser Jahrhundert, zumindest was Europa betrifft, überhaupt nicht vorbereitet – wie eben jene Schüler zeigen, die lieber Worte auf der Straße herumtragen als im Unterricht zu arbeiten.
(Hervorhebungen GB)

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Auf die Alternativen zur Klimarettung werde ich bei anderer Gelegenheit noch zurückkommen. In dieser Februar-März-Ausgabe von „Der Monat“ finden Sie folgende Texte:

Mit besten Grüßen aus Berlin

Ihr

Gerd Held

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