5. März 2019
Dr. Gudrun Eussner
„Hast du es gewußt?“ empfängt mich der Besitzer meines Stammlokals, in dem ich jeden Morgen frühstücke und das Lokalblatt L’Indépendant sowie den überregionalen Figaro lese, und das mitten im „Zentrum der Welt“, au Centre du monde, „du bist keine Deutsche mehr und ich nicht mehr Franzose, sondern wir sind Europäer!“ Wir fallen uns in die Arme: „Endlich vereint!“
Der Präsident Europas richtet an sein Volk den Aufruf „Für einen Neubeginn in Europa“, Pour une Renaissance européenne. In Frankreich Le Parisien und in Deutschland DIE WELT werden durch den Präsidenten geehrt; sie dürfen die Rede veröffentlichen. Die anderen Medien der beiden Staaten sind Neese; sie kommentieren entsprechend böse. Zum Beispiel:
Dans une tribune publiée dans 28 pays Macron appelle de ses voeux une „renaissance européenne“. Par Marcelo Wesfreid,
Le Figaro, 5 mars 2019, p. 2/3 [nicht online!]
Auf der Startseite des Figaro gibt es am 5. März 2019, vier Artikel und eine Umfrage Avez-vous été convaincu par la tribune d’Emmanuel Macron pour relancer l’Europe ? „Hat Sie die Kolumne Emmanuel Macrons zum Wiederankurbeln Europas überzeugt?“ Ja 32%, Nein 68%
DIE WELT verbirgt die Worte hinter der Bezahlschranke und hält ihre Leser für bekloppt, daß sie nicht den Text auf der elysischen Website finden, und zwar in 22 Sprachen von 28 der insgesamt 47 europäischen Staaten, wobei die Türkei und Rußland nur zum Teil in Europa liegen, die Türkei zu einem klitzekleinen Teil, wenn man das Vilayet Almanya nicht mitrechnet:
„Bürgerinnen und Bürger Europas“, beginnt unser aller Präsident, aber er meint gar nicht Europa, sondern die Europäische Union, was die Dekoration der Texte mit der Europafahne zeigt: Por un Renacimiento Europeo, „für eine europäische Wiedergeburt/Renaissance“, heißt das spanisch wie französisch, „Neubeginn“ hieße nouveau départ.
Voor de Vernieuwing van Europa, „für die Erneuerung Europas“, lesen die Niederländer, die das Wort „Neubeginn“ nicht kennen, wohl aber das Wort „renaissance„, mit dem sie aber nicht ein Ansinnen wie das des Emmanuel Macron verbinden, sondern eher ihre Architektur, wenn nicht „Auferweckung“ oder „Comeback“. Da wäre das Europa des Präsidenten schon verstorben. Per un Rinascimento europeo, „für eine europäische Renaissance“, ist das Manifest italienisch betitelt, Il Manifesto; es steht auch auf der Website des George-Soros-eigenen Project Syndicate.
Daneben klickt man auf Europe, Please Wake Up des Menschenfreundes, „Europa, bitte, wach auf!“
For European Renewal, heißt es britisch, „für europäische Erneuerung“. Citizens of Europe, „Bürger Europas“, redet er die Remainers und Leavers im Angesicht des in drei Wochen bevorstehenden Brexits in der Financial Times an, wobei die einen wahrscheinlich denken: Was haben er und sein Monsieur Michel Barnier getan, uns einen für Briten, Schotten und Iren annehmbaren Vertragsentwurf zuzugestehen, und die Brexiteers seufzen: Wären wir doch endlich von diesem Ballast namens MakrelMercon befreit!
So legt er von Anfang an für Leser in den jeweiligen Ländern unterschiedliche Fährten. In den Überschriften für die von der EU mehrheitlich überzeugten Staaten ist Europa Hauptwort, er setzt es gleich mit der Europäischen Union, für die EU-skeptischen Staaten ist es Eigenschaftswort: „europäisch“. Man muß diese ja nicht sofort verschrecken!
Seine französische Provinz Europas schätzt er korrekt als EU-skeptisch ein, genannt „euroskeptisch“. Den Begriff bezeichnet der Duden treffend als „Politikjargon„.
Im Text geht es um die „Europawahl“, obgleich nur in der EU gewählt wird. Die Aneignung ganz Europas hat nach Landsmann Napoléon zuletzt Adolf Hitler versucht und ist damit gescheitert, aber er hat wenigstens darum gekämpft und nicht nur Sprüche geklopft. Die Zerstörung der Nationalstaaten ist nicht so einfach, mon Président ! Da nützt auch keine in 22 Sprachen geforderte Einrichtung einer Agence européenne de protection des démocraties, einer EU-Behörde, angeblich gegen Cyberattacken und Wahlmanipulationen. Stattdessen geht es um eine Zensurbehörde, die Bürger der EU auf Linie zu bringen und ihre Kritik an der EU, am Islam und an der zügellosen Einwanderung als „Haßreden“ zu denunzieren.
Rußland, immerhin ein europäischer Staat, der aber nicht als solcher gemeint ist, sondern als Feind, dem abgesprochen wird, zu Europa zu gehören, Rußland bezichtigt er unausgesprochen der Finanzierung von Parteien der EU und der Einmischung in deren Angelegenheiten. Er will „unseren Kontinent schützen“ durch eine gemeinsame Grenzpolizei mit britischer Beteiligung, zur Regelung der Einwanderung eine „Europäische Behörde für Asyl“ schaffen, un office euopéen de l’asile, seit seinem Amtsantritt sein Wunsch, einen „Vertrag über Verteidigung und Sicherheit“ abschließen sowie eine „Europäische Klimabank“ zur Finanzierung des „ökologischen Überganges“ einrichten.
Marcelo Wesfreid schreibt in seinem Artikel, daß Emmanuel Macron der Bundeskanzlerin von seinem Brief berichtet und die nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte. Sie wird ihn noch symbolischer einschätzen als den Vertrag von Aachen. Die 26 anderen Staaten zählen eh nicht sonderlich – und er nicht bei ihnen.
In Frankreich geht es derweil drunter und drüber, die Gelbwesten protestieren seit 16 Wochen, immer mehr durchsetzt mit Krawallmachern, ein Ende ist nicht in Sicht. Reformen, die ihren Namen verdienen, gibt es nicht, es sei denn, man rechnete die Herabsetzung der Geschwindigkeit auf Landstraßen von 90 km/h auf 80 km/h als eine solche, die Abgaben der Bürger und die Ausgaben des Staates steigen. Der Geschwätzpolitiker Emmanuel Macron tingelt als Wahlkämpfer seiner Bewegung LREM, La République en marche, durch Frankreich und lauscht den Sorgen der Provinzler.
Eine Wiederwahl wird ihm vorausgesagt. Warum soll es Frankreich besser gehen als uns! ?