Rundbrief Januar 2019

Gerd Held   –   Berlin, 18.Februar 2019
Werte Leser, Kollegen und Freunde,
Dies ist die Januar-Ausgabe meines Rundbriefs, die auf den vergangenen Monat zurückblickt und Texte vorstellt, die auf meiner Webseite www.gerdheld.de in der Rubrik Der Monat zu lesen sind.
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Seit 2015 steht die Migrationskrise im Zentrum der politischen Auseinandersetzung in Deutschland und diese Krise ist keineswegs vorüber. Der Migrationsdruck wächst nach wie vor und die Behauptung, man sei bei der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ auf einem guten Weg wie das Pfeifen im dunklen Walde. Aber es ist in den letzten Monaten und Wochen deutlich geworden, dass es weitere Krisen gibt, die unser Land existenziell bedrohen. Es befindet sich auf einem politischen Kurs, der diese Krisen vertieft und unlösbar macht. Wir müssen von einer Krise der Industrie und damit der Arbeits- und Wertschöpfungsgrundlage Deutschlands sprechen. Und die „Energiewende“ und „Verkehrswende“ zeigen in eklatanter Weise, wie dies Land geradezu besessen ist, sich politisch immer noch tiefer in diese Krise hineinzureiten. Einige Merkmale, die schon aus der Migrationskrise bekannt sind, zeigen sich hier erneut – insbesondere ein gravierender Realitätsverlust und ein Verlust aller Maßstäbe einer vernünftigen Gesetzgebung.
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Es werden tiefe Einschnitte in grundlegende Industriesektoren vorgenommen, die direkte Folgen für das Alltagsleben der Bürger haben und dort die Belastungen erhöhen (Fahrverbote, Energiepreise) erhöhen. Und dies geschah im Namen von einzelnen „Grenzwerten“ (insbesondere zur Luftqualität). Bei einzelnen Parametern herrscht hier ein Absolutismus des höheren Wissens, der bereit ist, ganze Industriezweige zu demontieren und Produkte aus dem Verkehr zu ziehen, wenn der Stand der Technik keine bezahlbare Erfüllung der Normen ermöglicht. Welche Maßlosigkeit hier herrscht, zeigt die Tatsache, dass der Demontage-Feldzug zu einem Zeitpunkt erfolgt, wo die Luftqualität in Deutschland gerade signifikant besser wurde. Man muss sich nur die Zahlen vor Augen führen (ich zitiere hier Thilo Spahl):
„Die Stickoxidemissionen im Straßenverkehr sind seit 1990 laut Zahlen des Bundesumweltamtes immerhin um rund 70 Prozent gesunken. Feinststaub (PM 2,5) und Feinstaub (PM 10) seit 1995 um rund 62 Przent bzw. 50 Prozent, Schwefeldioxid seit 1990 um 99 Prozent, flüchtige organische Verbindungen um 92 Prozent, Kohlenmonoxid um 89 Prozent und Ruß seit 2000 um 68 Prozent.“
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Wer vor dem Hintergrund dieser Zahlen die Phrasen über „die verpestete Luft in unseren Städten“ oder den Klimawandel, „der den Planeten unbewohnbar macht“ hört, die in den Medien gängige Münze sind, kann nicht umhin, von einer politischen Krise zu sprechen. Das haltlose Gebrabbel, bei dem nur zählt, dass irgendwie Aufmerksamkeit erregt wird, ist zur verbreiteten Gewohnheit geworden. Diese Krise betrifft nicht nur die Regierenden und einen engeren Kreis wirtschaftlicher und kultureller Eliten, sondern betrifft auch das Volk, den Demos. Ein politischer Allgemeinwillen und ein „common sens“ für die Gesamtzusammenhänge und Notwendigkeiten des Landes, die für eine vernünftige Gesetzgebung vorhanden sein müssen, sind ja nicht automatisch da, sondern müssen erst geschichtlich in Auseinandersetzungen gebildet werden. Offenbar stehen wir da erst am Anfang und die Vorstellung, die Demokratie in Deutschland sei eine besonders reflektierte Demokratie ist wohl eine Selbsttäuschung, aus der es noch ein jähes Erwachen geben könnte.
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Und da fällt mein Blick auf jene Demonstrationen, die streikende Schüler nun jeden Samstag „gegen den Klimawandel“ und für eine sofortige Stilllegung der Kohlkraftwerke veranstalten. Es sind tatsächlich Demonstrationen von Kindern, denen man eine ganz peinliche Rechthaberei anerzogen hat und denen daher jede kritische Selbstdistanz (und jede Neugier) fehlt. Welch erschreckendes Bilder sind das und welch erbärmliches Zeugnis für unser Land.
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Geht man von einer solchen, eher ernüchterten Sicht unserer Gegenwart aus und sieht das Anliegen einer großen Korrektur erst am Anfang, registriert man mit besonderer Aufmerksamkeit und Freude, wenn sich andere Stimmen bemerkbar machen. So war es ein sehr bedeutsamer Schritt, dass über hundert Lungenärzte sich kritisch über die Luftgrenzwerte geäußert haben und zeigen konnten, dass es mit den angeblich so eindeutigen Erkenntnissen „der“ Wissenschaft über die Wirkungen von „schädlichen Stoffen“ in der Atemluft gar nicht so weit her ist. Vielfach bestehen diese „Erkenntnisse“ in äußerlichen Korrelations-Schlüssen zwischen zwei Häufigkeiten an einem Ort (Häufigkeit von bestimmten Stoffen in der Luft und Häufigkeit von Erkrankungen), wobei an diesem Ort auch alle möglichen anderen Faktoren wirksam sind. Die Stellungnahme der Ärzte war also sehr wertvoll und führte auch dazu, dass die Autorität der Grenzwerte, die gerade noch unantastbar wie in Stein gemeißelt dastanden, rapide abnahm.
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Noch weiterführend ist die Bewegung der „gilets jaunes“ (der „Gelbwesten“) in Frankreich, die zu einem festen Referenzpunkt im politischen Leben unseres Nachbarlandes geworden ist. Sie hat offenbar gemacht, dass die ökologisch-sozialen Modernisierungen, die oft als „die“ Zukunft präsentiert werden, zu Lasten eines großen „peripheren“ Sektors der Gesellschaft gehen. Eines Sektors, den man keines Blickes würdigt und der doch Wesentliches zum Wohl des Landes beiträgt. Die Macron-Regierung wollte ihre Ökoprojekte durch eine Steueraufschlag auf den Sprit finanzieren, den vor allem das periphere Frankreich hätte bezahlen müssen. Dieser Plan ist nun erstmal Makulatur und seitdem hängt an dieser Stelle sozusagen eine gelbe Warnweste: Das periphere Frankreich kann nicht mehr so leicht ignoriert werden. Auf seine Kosten das Land zu regieren, ist nun schwieriger geworden. Die Gelbwesten wurden inzwischen auch auf Demonstrationen gegen die Dieselfahrverbote in Stuttgart gesichtet.
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Die neue Aufmerksamkeit für die (nähere und weitere) Peripherie, die die „urbanen Mitte“ auf einmal eng erscheinen lässt, muss aber auch eine grundlegende Konsequenz für das politische Denken haben: Dies Denken muss wieder räumlicher (raumstruktureller) werden. Bislang konnte man die Öffentlichkeit beeindrucken, indem man irgendwelche Bilder mit qualmenden Auspufftöpfen zeigte und damit den Kurzschluss nahelegte, dass bei jedem einzelnen Auspuff die Lösung liegt. Wenn man hingegen die räumliche Arbeitsteilung in den Blick nimmt und sieht, dass deren Gesamtbilanz weniger umweltbelastend ist, dann kann man dem Automobil als einem Verkehrsmittel für diese Arbeitsteilung gute Gründe zubilligen und ein bestimmtes Maß an Emissionen tolerieren. Es kommt also darauf an, dass das politische Denken die Produktivität von Raumstrukturen versteht und nicht bloß die Produktivität einzelner Fahrzeuge.
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Die Januar-Ausgabe von Der Monat, die Sie auf meiner Homepage www.gerdheld.de finden, enthält drei Texte, die sich um diesen neuen großen Krisenkomplex „Industrie“ drehen:

Der erste Text setzt sich mit dem rücksichtslosen und zugleich verdeckten Charakter der Industriepolitik auseinander, bei der insbesondere die Grenzwerte, die wie aus dem Nichts auf einmal eine verheerende Wirkung entwickeln. Der zweite Text zeigt, wie die Leistung des Automobils erst deutlich wird, wenn die räumliche Arbeitsteilung eines modernen Landes verstanden wird. Der dritte Text (aus dem Jahr 2010) handelt vom Feinstaub und zeigt, wie neben dem „ganz Großen“ (dem Weltklima) auch das „ganz Kleine“ besonders Mythologie-anfällig ist: frei nach dem Motto „je winziger, desto gefährlicher“ lassen sich alle möglichen Ängste mobilisieren.
Noch eine Bemerkung zum Schluss: Ein Teil des letzten Rundbriefs ist unter dem Titel „Sieben Einsichten zur politisch-moralischen Konkurrenz 2019“ bei „Die Achse des Guten“ erschienen. Das hat dazu geführt, dass der Empfängerkreis des Rundbriefs weiter gewachsen ist. Ich grüße also die neuen Leser und möchte bei dieser Gelegenheit etwas zur Erscheinungsweise der Rundbriefe sagen. Der Rhythmus der Briefe soll im Prinzip monatlich sein und Sie, die Leser, kurz nach Monatsschluss erreichen. Dann sind auch die neuen Texte auf meiner Homepage eingestellt. Aber es kann zu Verschiebungen kommen, wenn noch ein Text fertig werden soll oder ich aus persönlichen Gründen das Erscheinen etwas verzögern (oder vorziehen) muss. Es kann auch vorkommen, dass der „Monat“ einmal zwei Monate umfasst. Diese Freiheit möchte ich mir gerne erhalten und hoffe auf Ihr Verständnis.
Mit besten Grüßen aus Berlin
Ihr
Gerd Held

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