Anmerkungen zum Lutherjubiläum

Hartmut Krauss

(…) Nun wird das Religiöse, in unseren Breiten insbesondere das Christentum, im Rahmen einer selbstvergessenen eindimensional-euphemistischen Sichtweise oftmals mit dem ‚Guten‘ und ‚Barmherzigen‘ schlechthin assoziiert. Verdrängt wird dabei nicht nur das totalitär-repressive und gewalttätige Erbe in Gestalt von Kreuzzügen, Antijudaismus, absolutistischer Deutungsmacht, Hexenverbrennung, Ketzerverfolgung und Inquisition. Ignoriert wird darüber hinaus auch der widersprüchliche und ambivalente Aussagecharakter der monotheistischen ‚Buchreligionen‘. Daraus folgt, daß sich unterschiedliche bis gegensätzliche Auslegungen gleichermaßen legitimieren lassen, ohne daß sich letztendlich eine bestimmte theologische Interpretation als „allein gültig“ nachweisen ließe. Ein ebenso prominentes wie erhellendes Beispiel hierfür ist das kontroverse Bibelverständnis von Luther und Müntzer. So findet Luther im Römerbrief 13 des Paulus, Vers 1 und 2 die Legitimationsquelle für seine Gehorsamslehre: „1. Jedermann sei unthertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. 2. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urtheil empfangen.“ Gegen diese herrschaftsapologetisch akzentuierte Schriftauslegenung, die den theologischen Nährboden für Luthers geistiges Wüten im deutschen Bauernkrieg abgab, wendet sich Müntzer in umfassender und radikaler Form: Zum einen lehnt er die Reduzierung der geltenden Normen auf das Neue Testament ab und versteht demgegenüber die ganze Bibel als Gesetz Gottes. D. h. er filtert aus dem Alten Testament Stellen heraus, die sich für seine antithetische Widerstandslehre eignen. Zum anderen hebt er gegenüber Luthers Obrigkeits- und Gehorsamslehre Vers 3 und 4 des zitierten Römerbriefs hervor, um darauf aufmerksam zu machen, daß die Obrigkeit (die damaligen Feudalgewalten) ihren Auftrag als Dienerin Gottes zur Bestrafung der Bösen längst verraten und damit ihren Gehorsamsanspruch eingebüßt habe. (…)

http://www.gam-online.de/text-Missbrauch%20und%20radikalisierung.html

 

1 Im Römerbrief 13 des Paulus, Vers 1 und 2 findet Luther die Legitimationsquelle für seine Gehorsamslehre:

1. Jedermann sei unthertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. 2. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urtheil empfangen.“

2 „Es war nur noch ein kleiner Schritt, die überkommene theologische Antithese Judentum-Christentum in die Antithese Judentum-Deutschtum umzudefinieren“ (Schoeps 1993, S. 21).

3 „Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers – der Untergang!“ (Wagner, zit. n. Schoeps 1993, S. 23).

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