Für ein Europa der aufgeklärten Gesellschaften

Hartmut Krauss

„Folgt man den chronisch gewordenen Realitätsverzerrungen der Massenmedien, wie sie jetzt angesichts der Brexit-Entscheidung wieder massiv in Umlauf gebracht werden, dann gibt es nur zwei sich ausschließende Positionen bzw. entgegengesetzte Lager: Auf der einen Seite die mehr oder minder unkritischen EU-Befürworter als „gute Europäer“ und auf der anderen Seite die neonationalistischen EU-Gegner als Front antieuropäischer „Rechtspopulisten“. Was im Rahmen dieses holzschnittartigen Dualismus komplett unterschlagen wird, ist der Sachverhalt, dass die EU in ihrer jetzigen, von Krisen geschüttelten, bürokratisch-vormundschaftlichen Gestalt nur eine (misslungene) Realisierungsform der Europa-Idee ist. Ein alternatives Konzept, das Europa primär als eine säkular-demokratische und menschenrechtliche Wertegemeinschaft aufgeklärter und identitätsstarker Völker fokussiert, mit (a) kontrollierten Außengrenzen, (b) bewusst-auswählenden ökonomischen, politischen und kulturellen Beziehungen nach außen („selektive Globalisierung“), (c) allgemeinwohlorientierten ökonomischen Binnenbeziehungen und (d) Aufkündigung des antirussischen Vasallenverhältnisses gegenüber den USA, wird dabei kategorisch ausgeschlossen bzw. geflissentlich ausgeblendet. Zur EU in ihrer jetzigen Gestalt darf und soll es keine Alternative geben.

Europa als tatsächliche (nichtphraseologische) Wertegemeinschaft

Infolge der Verknüpfung von geistig-kultureller (Aufklärung), antifeudaler und industrieller Revolution avancierte Europa im 19. und 20. Jahrhundert zum zivilisatorischen Zentrum der Welt. Trotz des späteren Kolonialismus, Imperialismus und zweier Weltkriege sowie der kapitalistischen Negation zahlreicher emanzipatorischer Gründerideale gelang hier erstmalig und nachhaltig die Überwindung vormoderner Herrschaftsverhältnisse sowie die Hervorbringung eines ganzen Ensembles „moderner“ (posttraditionaler) Prinzipien: So das Konzept der universellen Menschenrechte (gegen die ständisch-religiöse bzw. geburtsrechtliche Zuteilung von Lebenschancen), die Trennung von Religion einerseits und Staat, Recht und Privatsphäre andererseits, die Idee des freien und emanzipationskompetenten Individuums, das Regulativ der Gewaltenteilung, die Prinzipien der Volkssouveränität, der Demokratie sowie der Rechtsbindung des Regierungsinstanzen etc. Kurzum: Europa ist die Geburtsstätte der kulturellen Moderne und einer säkular-menschenrechtlichen Lebensordnung.

Was den europäischen Kulturraum demnach auszeichnet, ist der revolutionäre Übergang von der mittelalterlich-feudalen ‚Prämoderne‘ zur neuzeitlichen ‚Moderne‘, der schließlich zur Etablierung einer spezifisch eingebetteten bzw. normativ-institutionell auf besondere Weise eingehegten bürgerlich kapitalistischen Gesellschaftsformation geführt hat. Genauer betrachtet vollzog sich diese soziokulturelle Transformation als mehrstufiger Umwälzungsprozess in Gestalt von Renaissance, Reformation und Aufklärung, der von antifeudalen Oppositionskräften unter Führung städtebürgerlicher Schichten getragen wurde.

Im Rahmen dieses Prozesses wurde die ideologisch-kulturelle Prägekraft des theozentrischen Weltbildes und die gesellschaftliche Normierungsmacht der christlichen Religion systematisch untergraben und geschwächt, was im Endeffekt dazu führte, dass diese ihre Eigenschaft als absolute, d.h. allein gültige und letztlich entscheidende geistig-moralische Deutungs- und Normierungsinstanz einbüßt hat. D.h.: Es kam zu einer radikalen Aufhebung der privilegierten, mit zahlreichen Sonderrechten versehenen Monopolstellung des Religiösen als geistig-moralischer Herrschaftsinstanz.

Dieses revolutionäre Sozialerbe sollte die zentrale Identitätsgrundlage einer kulturhistorisch gewachsenen Wertegemeinschaft bilden, die es gegen spätkapitalistische (Selbst-)Negationen und nichtwestlich-herrschaftskulturelle Anfeindungen und Zersetzungen zu bewahren und auszubauen gilt.

Postmoderner Aufklärungsverrat der europäisch-kapitalistischen Herrschaftsträger

Anstatt auf diesen quantitativen Bedeutungsverlust mit qualitativen Kompensationsmaßnahmen zu reagieren (intelligente Zuwanderungssteuerung; Anhebung des inhaltlichen statt des formalen Bildungsniveaus; Absenkung unproduktiver Integrationskosten zugunsten verbesserter Infrastrukturen etc.), haben sich die ökonomischen, politischen und ideologischen Herrschaftsträger der westlich-kapitalistischen Gesellschaftssysteme längst von den Prinzipien der kulturellen Moderne, die als Identitätsgrundlagen Europas fungieren könnten und müssten, verabschiedet. Sie sind bereit, hinter dem rhetorischen Tarnvorhang multikulturalistischer und pseudohumanistischer Werte-Phraseologie das Europa der Aufklärung auf den Müllhaufen der nihilistischen Profitlogik zu werfen.

Während nämlich große Teile der Bevölkerung in Europa dem importierten Islam und der durch ihn bestimmten Herrschaftskultur aus guten Gründen kritisch und ablehnend gegenüberstehen, folgen die herrschenden und tonangebenden Kräfte in Wirtschaft, Politik und Medien einem dezidiert proislamischen Kurs. Wesentliche Ausdrucksformen dieser umfassend spürbaren Ausrichtung sind a) die enge Interessenabstimmung mit islamischen Führungsinstanzen auf supranationaler Ebene5, b) die Gewährleistung und Absicherung mehrdimensionaler Islamisierungsprozesse in den westlichen Zuwanderungsländern6 sowie c) die systematische Diskriminierung und mediale Ausgrenzung islamkritischer Positionen7.

Die letztendlich ausschlaggebende Ursache für diese proislamische Grundeinstellung ist der Interessenwandel der spätkapitalistischen Herrschaftsträger. Indem das Kapital sich zunehmend globalisiert hat, ist es „postmodern“ geworden. Das bedeutet zum einen, dass es sich gegenüber nichtwestlichen Herrschaftskulturen öffnet und mit diesen Handelspartnerschaften sowie strategische Allianzen auf ökonomischem, politischem, militärischem etc. Gebiet eingeht. Dazu gehört natürlich auch ein ausgeprägter Verharmlosungs- und Duldungsdiskurs bzgl. des antiemanzipatorischen Charakters dieser neuen Bündnispartner. Zum anderen verhält es sich damit praktisch zunehmend nihilistisch gegenüber den Grundinhalten der eigenen, europäisch „gewachsenen“, säkular-demokratischen Leitkultur und bürdet den einheimischen Bevölkerungen die sozialen Folgekosten dieser neuen globalen Herrschaftsstrategie in Gestalt von Zuwanderungsghettos, muslimischer „Parallelgesellschaften“8, Sozialdemontage, höheren Abgabelasten etc. auf.

Dabei fungieren der Kulturrelativismus und der postmoderne Fetisch der Andersheit/Diversität als neue Leitideologien des globalen Kapitalismus. Ihre Ausrichtung ist die Erzeugung einer kapitalfunktionalen Mischkultur, die qualitative (kulturell-normative und lebensweltliche) Gegensätze zwischen aufgeklärten (modern sozialisierten) und unaufgeklärten (vormodern sozialisierten) Lohnarbeitern, Konsumenten und Staatsbürgern leugnet bzw. deren Einebnung und regressive „Gleichmacherei“ zu einer Pseudo-Buntheit „von oben“ zwanghaft verordnet und als „multikulturelle Gesellschaft“ stilisiert. Aus der Sicht der Kapitalinteressen betrachtet ist es zum Beispiel egal, ob die Frauen ganzköperverschleiert in Riad, nabelfrei in Saint-Tropez, mit Kopftuch in Istanbul oder mit Jeans bekleidet in Hongkong einkaufen oder ob in den europäischen Migrationsgesellschaften auf engem Raum interkulturelle Konflikte zwischen Einheimischen, nichtislamischen Zuwanderern und muslimischen Migranten eskalieren – Hauptsache Lohndumping, der Absatz und die Profitrate stimmen. (…)

In diesem Kontext nutzt die postmoderne „Elite“ das klassische Rechts-Links-Schema, um Verwirrung zu stiften und praktisch-kritische Widerstandsimpulse zu ersticken. Wer sich der neuen kapitalistischen Verbündungsstrategie mit nichtwestlich-despotischen Herrschaftsträgern und deren religiösen „Leitkulturen“ widersetzt und den wachsenden Migrationsimport zusätzlicher reaktionärer Denk- und Verhaltensweisen kritisiert, wird als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“, „rechtslastig“, „islamophob“ etc. gebrandmarkt. Wer demgegenüber als willfähriger Unterstützer und Schönredner eingewanderter Repressionskulturen fungiert und deren totalitäre Ideologien verharmlost, gilt – in moralischer Ausbeutung einer naiv-unkritischen Multikulturalismusideologie – als „fortschrittlich“, „aufgeschlossen“ bzw. als „toleranter Gutmensch“.

Mit Hilfe dieser medial gestützten Verwirrung wird dann folgender Grundsachverhalt verschleiert:

Angesichts der übersättigten westeuropäischen und nordamerikanischen Märkte sind die Geschäftsinteressen westlicher Großkonzerne nicht zuletzt auch auf den arabischen bzw. generell islamisch geprägten Wirtschaftsraum gerichtet. Für die Herstellung und Beibehaltung eines günstigen Geschäftsklimas ist eine möglichst störungsfreie Kommunikation mit den islamischen Machthabern geboten. Eine Auseinandersetzung mit den dortigen Herrschaftsstrukturen, Menschenrechtsverletzungen, Repressionsverhältnissen etc. würde nur die anvisierten bzw. bereits hergestellten Geschäftsbeziehungen stören. Und das betrifft nicht nur den Export von Konsumartikeln. Längst ist z.B. Saudi-Arabien nicht nur herausragender Ölexporteur und ein Hauptsponsor des islamistischen Terrorismus, sondern auch ein äußerst potenter Importeur westlicher Rüstungsgüter und Sicherheitstechnologie . Zudem ist Deutschland der Haupthandelspartner des iranischen Gottesstaates. Zentraler Bestandteil dieser wirtschaftlichen Interessenverflechtung ist natürlich auch in diesem Fall ein ausgeprägter Verharmlosungsdiskurs bzgl. des totalitären Charakters des betreffenden Partnerlandes. So konnte es auch nicht wirklich überraschen, dass sich deutsche Großkonzerne in arabischen Medien für die westliche Pressefreiheit entschuldigten und zu Hause einen Beschwichtigungskurs angesichts der gezielten Aufwallungen anlässlich des „Karikaturenstreits“ verordneten. Gegenwärtig ist auffällig, dass in westlichen Medien und von EU-Politkern kaum ein Wort der Kritik darüber zu hören ist, dass Saudi-Arabien und die reichen Ölmonarchien einerseits als massive Kriegstreiber agieren, sich andererseits aber gleichzeitig gegenüber muslimischen Kriegsflüchtlingen systematisch abschotten und mit Hilfe deutscher Sicherheitstechnik ihre Grenzen dichtmachen.

Zunehmend werden aber auch andersherum die Geldmengen in den Händen der islamischen Herrschaftselite alsAnlagekapital für umfangreiche Unternehmenskäufe und -beteiligungen im Westen genutzt. Damit wird eine unmittelbare Machtposition außerhalb der islamischen Herrschaftskultur aufgebaut, die sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Interesse politischer Druckausübung, Erpressung und ideologischer Einflussnahme instrumentalisieren lässt.“ (…)

Halten wir abschließend fest: Dem doppelten Würgegriff globalkapitalistischer und islamischer Herrschaftsinteressen ausgesetzt, könnten die europäischen Bevölkerungen nur vermittels einer neuen progressiven Protestbewegung den gesellschaftlichen Niedergang abschwächen. Doch dafür gibt es derzeit – nach der Selbstzerstörung der europäischen Linken – noch nicht einmal zarte Ansätze. Der Aufstieg „rechtspopulistischer“ Parteien in einer Reihe von Euro-Ländern passt dagegen in dieses Szenario wie der Flug kreisender Geier.“

http://www.gam-online.de/text-fur%20europa.html

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